Zürcher Arzt kämpft für Frauen in Afghanistan
«Machtlosigkeit ist ein schlimmes Gefühl»

Die Taliban haben die Frauenrechte weiter eingeschränkt: Afghaninnen dürfen keine Hochschulen besuchen. Maiwand Ahmadsei kämpft dafür, dass Medizinstudentinnen ihre Ausbildung trotzdem fortsetzen können.
Publiziert: 07.05.2023 um 10:03 Uhr
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Aktualisiert: 08.05.2023 um 09:44 Uhr
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Maiwand Ahmadsei flüchtete einst mit seiner Familie nach Hamburg und studierte Medizin in Hamburg, München und New York.
Foto: Thomas Meier
Interview: Emran Feroz*

Als Kind flüchtete Maiwand Ahmadsei (31) aus Afghanistan. Heute arbeitet er als Assistenzarzt am Universitätsspital Zürich und setzt sich für die vergessenen Menschen in seiner früheren Heimat ein. Im Interview spricht er von enormen Herausforderungen und seinen Erfolgen.

Herr Ahmadsei, seit Ende letzten Jahres sind Afghaninnen vom Universitätsbesuch ausgeschlossen. Sie haben sich entschlossen, dem entgegenzuwirken.
Maiwand Ahmadsei: Kurz nach Bekanntgabe des Verbots starteten wir mit einem Onlinekurs-Programm für afghanische Medizinstudentinnen. Unser Team besteht aus internationalen Experten, die täglich Vorlesungen geben.

Wo befindet sich das Team?
Wir sind über den Globus verstreut. Ich lebe und arbeite in Zürich. Das Kernteam besteht aus afghanischen Ärzten und Ärztinnen in Pakistan. Andere Ärzte, die ehrenamtlich für das Programm tätig sind, leben in den USA und Europa.

Wer finanziert Ihr Projekt?
Niemand. Wir haben bis uns bis dato bewusst dagegen entschieden, Gelder anzunehmen. Wir wollen erst die Plattform ordentlich aufbauen und dann nach gründlicher Selektion Hilfe entgegennehmen. Wer die Situation in Afghanistan kennt, weiss, dass Hilfsgelder leider einen schlechten Ruf haben. Viele Projekte wurden in den letzten 20 Jahren ins Leben gerufen, um Gelder zu akquirieren. Für das Leid der Menschen hat man sich nur wenig interessiert. Wir sind alle ehrenamtlich tätig. Umso beachtlicher ist es, was wir in den letzten Wochen und Monaten erreicht haben. Wir arbeiten praktisch am Taliban-Regime vorbei, und das Interesse seitens der Studentinnen ist immens.

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Wie viele Studentinnen nehmen an den Vorlesungen teil?
Mittlerweile rund 3000. Die Nachfrage ist extrem hoch. Wir können das aber nicht auf Dauer bewältigen, da wir gewiss keine Universität als Ganzes ersetzen können. Hinzu kommen technische und logistische Probleme wie fehlende Hardware oder schlechte Internetverbindungen. Vor allem, was Letzteres angeht, hoffen wir tatsächlich auf Hilfe und Spenden. Ein paar Laptops können für viele Studentinnen schon entscheidend sein, um ihre Zukunft zu manövrieren.

Angeblich haben auch die Taliban von Ihrer Arbeit gehört?
Das stimmt. Konkret geht es wohl um jene, einige Taliban-Führer in Kabul: Sie sind anscheinend moderater und offener, was das Thema Mädchenbildung angeht. Allerdings haben sie keine Entscheidungsgewalt. Dennoch hiess es, dass wir weitermachen können. Man würde uns nicht stören. Das verdeutlicht die internen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der verschiedenen Taliban-Fraktionen.

Wie lange wird das weitergehen?
Wir haben damit angefangen, um den Studentinnen Perspektiven zu bieten. Machtlosigkeit ist ein schlimmes Gefühl, und sie wollen nach dem Taliban-Dekret keineswegs nichts tuend zu Hause sitzen. Gegenwärtig sind Gespräche mit renommierten, westlichen Universitäten geplant. Vielleicht dürfen wir bald in Zusammenarbeit mit offiziellen Bildungseinrichtungen Credit-Points vergeben, was ein Riesenschritt wäre.

Auch Sie haben eine Fluchtgeschichte.
Wir kamen Anfang der 2000er nach Deutschland. Unsere Flucht war mühsam und schwierig und lässt sich seitens Zehntausender Afghaninnen und Afghanen, die dasselbe erlebt haben, wiedererzählen. Wir haben die Bürgerkriegsjahre der 1990er-Jahre in Kabul hautnah miterlebt und mussten uns vor den Raketen verschiedener Milizen versteckten, etwa indem wir in unserem Keller ausharrten und kaum etwas zum Essen hatten. Es waren düstere Tage, und ich wünsche mir für die Menschen in Afghanistan, dass sie sich niemals wiederholen.

In Anbetracht Ihrer Worte hat man den Eindruck, dass Afghanistan nie zur Ruhe kommt und sich in den letzten Jahrzehnten auch nicht wirklich viel verändert hat.
Es wurde vieles falsch gemacht, und alle Akteure, die am gegenwärtigen Dilemma beteiligt sind, müssen nun Verantwortung tragen. Das betrifft sowohl die Afghanen wie etwa die Taliban, verschiedene Warlords oder korrupte Politiker, die mittlerweile ins Ausland geflüchtet sind, als auch die internationale Staatengemeinschaft, die am Hindukusch zwei Jahrzehnte lang einen Krieg ohne Exit-Strategie geführt hat. Für all diese fatalen Fehler muss nun die afghanische Bevölkerung zahlen.

*Emran Feroz ist österreichisch-afghanischer Journalist, Kriegsreporter und Autor. 2021 erschien sein Buch «Der längste Krieg, 20 Jahre War on Terror», Westend-Verlag.

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