Recep Tayyip Erdogan meint es offenbar ernst. Am Freitagmorgen liess der türkische Staatspräsident seine Luftwaffe erstmals Stellungen der Terror-Miliz IS in Syrien bombardieren.
Wenig später legte er nach. Vor Journalisten in Istanbul sagte Erdogan, die Luftschläge seien nur «ein «erster Schritt» gewesen. Weitere würden Folgen. Er habe den USA versichert, dass die Türkei von nun an an der Bekämpfung des IS beteiligen werde.
Das sind durchaus erstaunliche Worte, die da aus Erdogans Mund kommen. Denn lange Zeit hat der Staatspräsident die Gefahr, die von den radikalislamischen Extremisten auch für sein Land ausgeht, nicht erkannt – oder nicht sehen wollen.
Auch international wurde die Türkei mehrfach dafür kritisiert, dass ausländische IS-Kämpfer via Türkei praktisch ungehindert nach Syrien einreisen können – während kurdischen Kämpfern, die den Einheiten in Kobane im Kampf gegen IS zu Hilfe eilen wollten, die Einreise lange verwehrt wurde.
Politisches Dilemma
Der Grund dafür ist ein politisches Dilemma: Im syrischen Bürgerkrieg haben die syrischen Kurdengebiete an Autonomie gewonnen. Keinesfalls wollte Erdogan diese Entwicklung fördern – und so möglicherweise auch die Unabhängigkeitsbestrebungen im eigenen Land befeuern.
Zudem haben die Terrormiliz IS und die Türkei einen gemeinsamen Feind: Syriens Herrscher Baschar al-Assad. Als der syrische Bürgerkrieg ausgebrochen war, hatte Erdogan angekündigt, den Diktator innert eines halben Jahres zu stürzen. Gelungen ist dies der Türkei auch nach über vier Jahren nicht. Und als Hilfe von Seiten der Dschihadisten nahte, sah man vor diesem Hintergrund lange keinen Grund für ein Eingreifen.
Zögern und Zaudern rächt sich
Ein fataler Fehler. Anfang dieser Woche hat sich das Zögern und Zaudern der türkischen Regierung gerächt. Das Attentat vergangenen Monat in der Stadt Suruc war das erste der Terrormiliz IS auf türkischem Boden. 32 Menschen starben, über 100 wurden verletzt, als sich ein Selbstmordattentäter im Garten eines Kulturzentrums in die Luft sprengte.
Der verheerende Bombenanschlag, für den die Regierung jetzt auch offiziell die IS-Miliz verantwortlich macht, dürfte der entscheidende Grund sein für den nun erfolgten radikalen – und überfälligen – Kurswechsel Ankaras.
Das Drama von Suruc hat indessen auch den Graben zwischen der türkischen Regierung und den Kurden neu aufgerissen. Aus Sicht der PKK ist die Türkei am Attentat schuld, bei dem viele Kurden starben. Als Vergeltungstat erschossen Anhänger der Untergrundorganisation diese Woche mehrere Polizisten.
Razzia gegen Terrorverdächtige
Auch das will Erdogan nicht einfach so hinnehmen. Er kündigte an, auch verstärkt gegen kurdische oder linke Extremisten vorgehen zu wollen. Alle militanten Gruppen müssten ihre Waffen niederlegen – oder mit Konsequenzen rechnen.
Was das heisst, zeigte sich in den Nacht auf Freitag. Bei einer grossangelegten Razzia mit über 5000 beteiligten Polizisten nahmen die türkischen Sicherhitskräfte über 250 Terrorverdächtige fest. Die Aktion richtete sich gegen IS-Sympathisanten, aber auch gegen PKK-Anhänger und Linksextremisten. (lha/bau)