Zu Besuch in der Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten
«Selenski verkauft die Ukraine und unser Leben»

Diktator, Kriegstreiber – der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (47) musste sich in den letzten Wochen heftige Vorwürfe anhören. Was denken die Menschen in seiner Heimatstadt Krywyj Rih? Blick machte sich ein Bild vor Ort.
Publiziert: 16.03.2025 um 17:23 Uhr
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Aktualisiert: 16.03.2025 um 19:03 Uhr
Hier probte der junge Selenski seine Auftritte: das Studentenzentrum der Technischen Universität in Krywyj Rih.
Foto: Helena Graf

Darum gehts

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Helena GrafReporterin

Seit drei Jahren tobt in der Ukraine der Krieg. Ein Gesicht war in diesen Jahren präsenter wie kein anderes: jenes von Wolodimir Selenski (47). Auch jetzt wieder, sei es vor zwei Wochen beim Eklat im Weissen Haus mit Trump, beim Besuch bei Briten-Premier Starmer zum Gipfel in London oder bei der Visite in Saudi-Arabien. Nun reiste Blick zu den Wurzeln des Ukraine-Präsidenten. Und wollte wissen, was die Menschen in seiner Stadt über ihn sagen. Ein Besuch in Kriwyj Rih, der Heimat von Selenski. 

«Haben Sie die Übertragung von Selenskis Besuch im Weissen Haus gesehen?», fragt Nataliya Yefimova (52), die in der Stadt wohnt. «Das war der wahre Selenski. Er vertritt seine Prinzipien um jeden Preis – selbst wenn das bedeutet, alle Mauern einzureissen.» Die Gespräche mit den Menschen in Selenskis Heimat zeigen: Die Meinungen über das Gesicht des Ukraine-Kriegs sind geteilt. 

Yefimova hat Wolodimir Selenskis (47) Karriere als Komiker eng begleitet. Sie kennt seine Mutter, die Familie lebte in einem gigantischen Häuserblock auf der anderen Strassenseite. «‹Vov› kam im Jahr 2000 zu mir und fragte, ob er den Theatersaal zum Proben nutzen dürfe», erinnert sie sich. 

«Bereit, alles aufzugeben»

Zu dieser Zeit tourte Selenski durch die ehemaligen Sowjetstaaten, gewann Comedy-Wettbewerbe. «Für die Russen war er ein Hinterwäldler aus dem Nirgendwo. Sie fühlten sich blamiert, gegen ihn zu verlieren», erzählt die 52-Jährige. Selenski sei aus dem Showbusiness in Russland ausgestiegen. «Schon damals war er bereit, alles aufzugeben, wenn ihm etwas nicht passte», sagt Yefimova.

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Wolodimir Selenski im Weissen Haus Ende Februar. Das Gespräch mit Donald Trump eskalierte komplett.
Foto: imago/UPI Photo

Im Innenhof des grossen Blocks, in dem Selenski aufgewachsen ist, spielt eine Gruppe Männer Domino. «Geht weg», brummen sie. «Viele Bewohner fürchten, dass Russland diesen Block bombardiert, wenn in den Medien steht, dass Selenski hier geboren wurde», erklärt ein Anwohner. «Das ist natürlich Blödsinn. Mit einer einfachen Google-Suche findet man heraus, dass er hier gelebt hat.»

Wolodimir Selenski mit seinem Vater Oleksandr.
Foto: RBC Ukraine

Sein Vater Oleksandr Selenski war Professor an der Technischen Universität. Yefimova: «Während die meisten Professoren jener Zeit gute Noten für Geld erteilten, hatte Oleksandr den Ruf, nicht käuflich zu sein.»

«Er trägt immer eine Maske»

Eine Eigenschaft, die der Sohn offenbar nicht geerbt hat. Zumindest, wenn man Yuriy Bereza (55) glaubt. Er ist Kommandant des Bataillons Dnipro-1 und ehemaliges Parlamentsmitglied (2014–2019). «Er ist ein reicher Geschäftsmann – und abhängig von ukrainischen Oligarchen», sagt Bereza zu Blick.

Unternehmer Rinat Achmetow etwa, der mit einem geschätzten Vermögen von 4,2 Milliarden US-Dollar als reichster Mensch in der Ukraine gilt. Und Victor Pinchuk (64), mit 1,9 Milliarden der zweitreichste Mann des Landes.

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«Ich finde es fragwürdig, wie Selenski um Hilfe für die Ukraine bettelt, die finanziellen Mittel der ukrainischen Oligarchen aber nicht antastet», so Bereza, der in einem kleinen Dorf nördlich von Krywyj Rih lebt. Er hat den Schauspieler Selenski während seiner eigenen politischen Karriere kennengelernt. «Er ist ein brillanter Künstler. Aber er trägt immer eine Maske. Ausser seinen Eltern weiss wohl niemand, wie er wirklich ist.»

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Umstrittenes Rohstoff-Abkommen

Er passe seine Haltung den Gesprächspartnern an. Ein Opportunist – kein Mann von Prinzipien, wie ihn Nataliya Yefimova beschrieb. 

Nach ihrem Streit Ende Februar haben sich Donald Trump und Wolodimir Selenski wieder vertragen. Dieser Tage verhandeln sie über ein Mineralstoffabkommen: Demnach soll die Ukraine künftig 50 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Rohstoffabbau in einen gemeinsamen Fonds mit der USA investieren. Das Geld soll in den Wiederaufbau der Ukraine fliessen.

Yuriy Bereza findet klare Worte: «Selenski verkauft die Ukraine und das Leben der Menschen hier.» Er betont aber auch die Legitimität seiner Präsidentschaft. Nach wie vor unterstützt eine überwiegende Mehrheit der Ukrainer Selenski. Besonders in seiner Heimatstadt.

«Würden ihn wieder wählen»

Tetyana (58) hat 2019 für Selenski gestimmt. Sie unterstützt ihn weiterhin.
Foto: Helena Graf

Das Gymnasium in Krywyj Rih, wo er zur Schule ging, wird gerade umgebaut. Es ist Teil eines landesweiten Bauprojekts, das Selenski ins Leben gerufen hat. 

Tetyanas (59) Tochter ging einige Jahre nach Selenski hier zur Schule. Die aktuellen Verhandlungen brächten ihn in eine schwierige Lage – die Forderungen Putins seien nicht vertretbar «Er ist ein Präsident im Krieg und er tut sein Bestes. Wir vertrauen ihm», sagt Tetyana. Sie und ihre Familie hätten 2019 für Selenski gestimmt. Sie betont: «Wir alle würden es sofort wieder tun.»

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