Am Anfang der Proteste im Iran stand der Unmut der Ultrakonservativen. Dem Land geht es wirtschaftlich schlecht – einen Zustand, den sie ausnutzen wollten, um durch inszenierte Demonstrationen aus den eigenen Reihen herauszufordern, wer die Macht im Staat in den Händen hält. Der iranische Präsident Hassan Rohani ist ihnen ein Dorn im Auge und mit Parolen wie «Nieder mit Rohani» versuchten sie gegen ihn zu hetzen sowie ihm die Schuld an allen Miseren des Landes zuzuschieben.
Doch die Konservativen verloren sehr schnell die Kontrolle über die Proteste. Es war das Volk, das diese übernahm. Ein Volk, das keine Führung hat und nicht länger tatenlos der Korruption und der wirtschaftlichen Misere im Land zuschauen will. Ein Volk, das den innenpolitischen Druck auf sich satt hat. Ein Volk, das es leid ist, immer Angst zu haben, wenn es eine Party feiert, das es satt hat, sich an Kleidungsvorschriften zu halten. Das sich dagegen wehrt, dass Intellektuelle und Akademiker aus dem Land gejagt werden. Ein Volk, das die Bevormundung des Staates im Alltag immer wieder zu spüren bekommt und diese nicht länger akzeptiert.
Die Gegner Rohanis
Innerhalb des Irans gibt es gegenwärtig drei wesentliche Interessengruppen, die sich gegen Präsident Rohani stellen. Das sind zum einen Kräfte, die den Iran als Militärmacht sehen wollen und mit der Entspannungspolitik nicht einverstanden sind, mit der Rohani gezielt eine Normalisierung der Beziehungen mit der westlichen Welt hervorrufen möchte.
Dann gibt es diejenigen, die während der Regierung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad durch Korruption Milliarden verdient oder sich durch Sanktionen bereichert haben und nun nicht gefragt werden möchten, wo das Geld geblieben ist, das ihnen anvertraut wurde.
Bei der dritten Gruppierung handelt es sich um jene, die eine religiöse Führung ablehnen und eine direkte Machtübernahme anstreben würden, wenn es nach Wahlen keinen religiösen Führer an der Spitze des Staates gäbe.
Von allen Gesellschaftsschichten getragen
Diese drei Gruppen haben sich aus ihren unterschiedlichen Interessen heraus zum Ziel gesetzt, Rohani zu einer negativen Figur zu stilisieren, ihm die Schuld für die wirtschaftliche Misere anzulasten und den Staat lahmzulegen. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht. Sie wollten auf der Welle der allgemeinen Unzufriedenheit reiten, obwohl die Situation durch die eigene Misswirtschaft und den wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Druck hervorgerufen worden ist.
Doch dass sich die Proteste innert weniger Tage auf das ganze Land ausweiteten, spricht nun eher für eine allgemeine Unzufriedenheit, ebenso, dass sie von allen Schichten der Gesellschaft getragen werden. Seit Wochen wird so zum Beispiel gegen die landeseigenen Banken durch eine gesellschaftliche Mittelschicht protestiert, die ihre Ersparnisse durch Korruption verloren hat. Doch die Gründe für den Protest sind für jeden einzelnen Demonstranten unterschiedlich.
Gegen die religiöse Bevormundung
Proteste wie diese, die ohne eine Führungsfigur oder ein gemeinsames Programm zusammengefunden haben, können nur schwer zu einem konkreten Ergebnis führen. Denn selbst die Royalisten, eine grössere zusammenhängende Strömung, sind keine Opposition gewesen, die im Lande eine Rolle gespielt hat.
Und die oppositionellen Strömungen von im Ausland lebenden Iranern, die sich hin und wieder sich zu den Ereignissen äussern, haben keine Chance, im Iran wahrgenommen zu werden. Und dies, obwohl internationale Medien vermuten, dass hier eine Beeinflussung der Politik durch Präsident Trump bestehen könnte, da Reza Pahlavi, der Sohn des gleichnamigen letzten Schah im Iran, nach rund vierzigjährigem Exil an die Spitze der Opposition treten will und seine Ansprüche im US-amerikanischen Fernsehen anmeldete.
In einem System, in dem die Führer der Opposition immer wieder verhaftet und ausgeschaltet werden, gibt es derzeit keine Führung, mit der man verhandeln und dadurch die Menschen zu Ruhe und Geduld rufen könnte.
Die Forderungen der Demonstranten zielen neben der Kritik an der allgemeinen staatlichen Misswirtschaft im Wesentlichen darauf ab, die religiöse Bevormundung durch die Kleriker zu beenden. Eine wiederkehrende Forderung ist zudem die Anerkennung der iranischen Identität im Gegensatz zu den arabischen oder religiösen Werten.
Übers Internet organisiert
Gestern hielt Präsident Rohani eine Rede, in der er bestätigte, dass das Protestieren ein Volksrecht sei. Leider gibt aber keine Anzeichen dafür, dass Rohanis Worte die Lage zu beruhigen vermögen.
Zumal der Präsident letztlich eine Schachfigur ist, denn die wahre Macht liegt bei den zwölf grossen Imamen unter dem Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei, der sich kürzlich bei einem nicht geplanten öffentlichen Auftritt gegen ihn aussprach.
Das Volk verlangt nach deutlichen Zeichen einer Veränderung. Am heutigen Tag gibt es in der Hauptstadt keine Demonstrationen, aber in anderen Städten wie Qazvin sind die Strassen voller Menschen. Für morgen erwartet man in Teheran weitere grosse Demonstrationen, die über die sozialen Medien in einer abgesprochen wurden, obwohl der Staat die Netze immer wieder lahmgelegt hatte.