Auf einen Blick
- Aserbaidschanische Embraer wohl von russischer Rakete getroffen
- Russland verweigerte Notlandung, zwang Flugzeug über Kaspisches Meer
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Verdacht: Russland wollte es über Meer abstürzen lassen
- 298 Menschen starben 2014 beim Abschuss von MH17 über der Ukraine
2014 hatte eine russische Boden-Luft-Rakete eine Passagiermaschine von Malaysia Airlines über der Ostukraine abgeschossen. 298 Menschen kamen ums Leben, darunter 80 Kinder. Moskau leugnet bis heute die Verantwortung.
Jetzt verdichten sich Hinweise, dass es wieder eine russische Rakete war, die am Mittwoch zum Zerschellen eines aserbaidschanischen Passagierflugzeuges bei der Notlandung in Kasachstan führte. 38 Menschen an Bord starben, 29 überlebten wie durch ein Wunder.
Njet der russischen Flugsicherung
Wie aus aserbaidschanischen Regierungskreisen verlautet, sind Ermittler überzeugt, dass ein russisches Pantsir-S-Abwehrsystem das Flugzeug beschädigte. Das meldet die «New York Times».
Passagiere und Besatzungsmitglieder seien von Splittern einer neben dem Flugzeug explodierenden Rakete getroffen worden, heisst es. Nach der fatalen Bruchlandung waren Einschlaglöcher durch Splitter am Wrack des Flugzeugs klar sichtbar.
Die Piloten waren wegen des Ausfalls mehrerer Kontrollsysteme «nicht mehr in der Lage, Kurs und Höhe konstant zu halten», sagte der kasachische Verkehrsminister Marat Karabajew bei einem Briefing. Trotz Bitten der Piloten um eine Notlandung innerhalb Russlands wurde dies von der russischen Flugsicherung verweigert. Stattdessen erhielt die schwer havarierte Maschine die Anweisung, über das Kaspische Meer nach Aktau in Kasachstan zu fliegen – weit von der geplanten Flugroute entfernt.
Böser Verdacht
Jetzt gibt es einen bösen Verdacht: Die Russen hätten gehofft, das Flugzeug würde nach dem versehentlichen Treffer durch eine Luftabwehr-Rakete über dem Meer abstürzen und verschwinden. Diesen schweren Vorwurf äussert das aserbaidschanische Nachrichten-Portal Caliber.
Nach dem versehentlichen Beschuss des Passagierflugzeugs durch die eigene Luftabwehr habe Russland die Aktion vertuschen wollen. Hilfeleistung sei bewusst unterlassen worden. Ziel sei der «Absturz des Flugzeugs ins Kaspische Meer» gewesen, «wobei alle Zeugen ums Leben kämen und das Flugzeug versinken würde». Das beschädigte Flugzeug musste rund 300 Kilometer über dem Kaspischen Meer zurücklegen – was die Crew trotz grösster Widernisse schaffte.
Moskau beschwichtigt
Der Embraer-190-Jet war am Mittwochmorgen von Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, nach Grosny in der russischen Republik Tschetschenien gestartet. Als um Grosny Drohnenangriffe stattfanden und russische Luftabwehrsysteme darauf reagierten, hatte die Maschine Kurs nordöstlich über das Kaspische Meer einschlagen müssen.
Die russische Luftfahrtbehörde sprach zunächst von einem Zusammenstoss mit Vögeln als möglicher Ursache für den Absturz. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (57) warnte am Donnerstagnachmittag vor voreiligen Schlüssen: «Zurzeit läuft eine Untersuchung, jeder Vorfall in der Luftfahrt muss von spezialisierten Luftfahrtbehörden untersucht werden», so Peskow. «Es wäre falsch, eine Hypothese aufzustellen, bevor die Schlussfolgerungen der Untersuchung vorliegen.»
Gefährlicher Luftraum
In ihrer Untersuchung werden die aserbaidschanischen Ermittler auch die Weigerung russischer Flughäfen prüfen, eine Notlandung zuzulassen, und weshalb das beschädigte Flugzeug angewiesen wurde, das Kaspische Meer zu überqueren.
Der Luftraum über der Ukraine ist seit der Invasion Russlands und dem Ausbruch des Krieges im Februar 2022 weiträumig gesperrt. Der Absturz am Mittwoch wirft neue Fragen zur Flugsicherheit in der Nähe von Konfliktgebieten und zu den Risiken für zivile Flugzeuge auf.
Israels nationale Fluggesellschaft El Al hat den Flugbetrieb auf der Strecke Tel Aviv–Moskau als Vorsichtsmassnahme zunächst ausgesetzt.
Déjà-vu
Sollten sich die ersten Ermittlungshinweise über einen russischen Raketenabschuss bestätigen, wäre es das zweite Mal innerhalb eines Jahrzehnts, dass russische Streitkräfte in den Abschuss eines zivilen Flugzeugs verwickelt sind.
Zwei Russen und ein Ukrainer wurden von einem niederländischen Gericht in Abwesenheit für die Ermordung von 298 Menschen verurteilt, die am 17. Juli 2014 an Bord von Malaysia Airlines Flug MH17 über der Ukraine den Tod fanden. Moskau weigert sich, die Angeklagten auszuliefern, und bestreitet jede Beteiligung am Absturz der Boeing 777 über der Oblast Donezk.