Wettrüsten um die Ukraine, diplomatischer Druck, Drohungen
7 Anzeichen für den neuen Kalten Krieg

Die USA und Russland stehen sich im Ukraine-Konflikt gegenüber. Viel ähnelt der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – mit einer wichtigen Ausnahme.
Publiziert: 25.01.2022 um 18:18 Uhr
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Aktualisiert: 25.01.2022 um 19:59 Uhr
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Der US-Flugzeugträger USS Harry S. Truman steht aktuell unter Nato-Kommando.
Foto: keystone-sda.ch
Fabienne Kinzelmann

Im Mittelmeer lässt die Nato die Muskeln spielen. Die USS Harry S. Truman, auf der bis zu 85 Flugzeuge Platz finden, patrouilliert gemeinsam mit Begleitschiffen. «Zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg steht eine komplette US-Flugzeugträgergruppe unter dem Kommando der Nato», twitterte das Verteidigungsbündnis am Montag stolz.

Offiziell handelt es sich um eine Militärübung. Mit dem Ukraine-Konflikt hat sie vorgeblich nichts zu tun. «Neptune Strike 22» sei «lange geplant», teilte das Pentagon mit. Allerdings: Auf einer im Dezember veröffentlichten Nato-Liste der im 2022 geplanten Übungen fehlte das Manöver.

Es ist nur eines der vielen Anzeichen für das, was sich zwischen den USA und Russland aktuell abspielt: ein Kalter Krieg. Die spannungsreiche Konfrontation um die Ukraine erinnert an die Jahrzehnte, in denen sich die beiden Siegermächte des Zweiten Weltkriegs vor allem durch Wettrüsten, Drohungen und Spionage im weltweiten Systemwettstreit befanden. Auf beiden Seiten haben Top-Diplomaten die Situation bereits so bezeichnet.

«Für die ganze Welt entscheidend»

Einen «Kalten Krieg 2.0», nennt etwa Dmitri Polyansky, stellvertretender Botschafter Russlands bei den Vereinten Nationen, den Konflikt. «Was wir jetzt haben, ist eine Art Neuauflage des Kalten Krieges», sagte er im vergangenen Monat.

«Die Vereinigten Staaten befinden sich in einem neuen Kalten Krieg, der über die Zukunft Europas, ja der ganzen Welt entscheidet», schreibt Jim Gilmore, bis Mitte Januar US-Botschafter bei der OSZE, in einer Analyse für «Foreign Policy».

Und es könnte gut sein, dass aus dem Kalten Krieg sogar bald ein heisser wird. Der stellvertretende Aussenminister Russlands verglich die aktuelle Situation mit der Kubakrise von 1962, als die USA und die Sowjetunion kurz vor einem Atomkonflikt standen.

Blick zeigt einige der Ähnlichkeiten mit dem Kalten Krieg:

1. USA und Russland ziehen ihre Verbündeten zusammen

Das russische «Nato-Gegenstück» OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) galt lange als zahnloser Tiger. Bei den Anti-Regierungs-Protesten in Kasachstan Anfang Jahr zeigte das Militärbündnis, zu dem neben Russland und Kasachstan auch Armenien, Belarus, Kirgisistan und Tadschikistan gehören, erstmals seine Einsatzfähigkeit.

Zudem will sich Putin zu Beginn der Olympischen Winterspiele in China mit seinem chinesischen Amtskollegen treffen. In einem Telefonat zwischen den beiden Staatspräsidenten im Dezember unterstützte Xi Jinping (68) die Forderung Russlands, dass die Ukraine niemals der Nato beitreten dürfe.

Der Westen bemüht sich nach anfänglichen Abstimmungsschwierigkeiten um Einigkeit. US-Aussenminister Antony Blinken reiste vergangene Woche nach Kiew und Berlin, um die Reihen zu schliessen. Am Montag nahm er an einer Videokonferenz der EU-Aussenminister teil.

2. Beide Länder rüsten wieder kräftig auf

Auch wenn er einen geplanten Einmarsch bestreitet, hat Putin bereits seit Wochen mehr als 100'000 Soldaten an der ukrainischen Grenze zusammengezogen. Neben Truppen an der eigenen Grenze zur Ukraine verlegte Putin kürzlich Streitkräfte nach Belarus.

Auch ausserhalb von Krisenzeiten haben die USA zehntausende Soldaten in Europa stationiert. Als Reaktion auf den eskalierenden Ukraine-Konflikt hat die Biden-Regierung nun rund 8500 Soldaten in den Vereinigten Staaten in erhöhte Bereitschaft versetzt. Zudem will sie Nato-Verbündeten im Baltikum und in Osteuropa mehrere tausend Soldaten, Kriegsschiffe und Flugzeuge zur Unterstützung senden.

Auch andere Nato-Mitgliedsstaaten verlegen Kriegsgeräte und liefern Waffen. Am Montag stellte die EU der Ukraine zudem Unterstützung bei der Militärausbildung in Aussicht.

Einen wichtigen Unterschied zum Kalten Krieg gibt es allerdings: Die «Nuklearoption» steht nicht zur Debatte. Das atomare Wettrüsten endete mit dem Kalten Krieg. 1991 unterzeichneten die USA und Russland ein Abrüstungsabkommen. Am erneuten atomaren Aufrüsten scheinen beide Länder trotz der angespannten Situation kein Interesse zu haben.

3. Beide Länder machen politisch Druck

Russland hat weitreichende und aus Nato-Sicht unerfüllbare Sicherheitsforderungen gestellt. Zwei Vertragsentwürfe wurden bereits im Dezember veröffentlicht. Russland fordert die Garantie, dass die Ukraine nicht der Nato beitritt und ein Ende der Nato-Aktivitäten in Osteuropa.

US-Aussenminister Antony Blinken hat angekündigt, dass jeder Schritt eines russischen Soldaten über die ukrainische Grenze einer zu viel sei. Auch andere Kriegstaktiken wie Cyberattacken würden nicht geduldet.

Nach dem letzten Treffen am Freitag in Genf sagten die USA eine schriftliche Antwort auf die russischen Forderungen zu. Weitere Treffen – möglicherweise auch zwischen den Staatspräsidenten – sollen folgen.

4. Die USA drohen mit Sanktionen

Das westliche Bündnis hat dem Kreml mit «massiven» und «beispiellosen» Sanktionen gedroht, falls Russland die Ukraine angreift. In der Waagschale könnte ein Ausschluss russischer Banken vom Zahlungssystem SWIFT sein – das würde die russische Wirtschaft empfindlich treffen.

Die Massnahme würde es russischen Banken nicht nur erschweren, internationale Zahlungen zu tätigen und zu empfangen, sondern auch den Rubel erheblich schwächen. Besonders betroffen wären Russlands Energieriesen.

Allerdings nennt etwa Russlandprofessor Alexander Libman von der FU Berlin die Massnahme gegenüber der «Tagesschau» auch «Atombombe», weil sie sich international auf den Handel auswirken würde.

Bei Öl und Gas hätte das gravierende Folgen, so Libman. «Wenn morgen die russischen Lieferungen einfach ausfallen, dann kann es zu einem massiven Preisanstieg auf den Gasmärkten kommen. Das wird zu weiteren Komplikationen für die europäische Wirtschaft führen.»

Zudem könnte China die westlichen Bemühungen untergraben. Russland und China haben unter anderem bereits eigene Alternativen zu SWIFT entwickelt – wenn auch noch nicht gleichermassen etabliert.

5. Sie kämpfen um andere Länder

Wie im Kalten Krieg zeigt sich der Konflikt zwischen den USA und Russland besonders deutlich ausserhalb der eigenen Territorien. Beide mischen bei regionalen Konflikten kräftig mit – auf unterschiedlichen Seiten.

Besonders hervorgehoben werden kann Syrien, wo Russland seit 2015 den Machthaber Baschar Assad (56) unterstützt. Aus dem Bürgerkrieg hat sich längst ein Stellvertreterkrieg entwickelt.

In Belarus, wo Putin Machthaber Alexander Lukaschenko (67) half, die grosse Protestwelle 2020 zu unterdrücken, greifen die USA zwar nicht militärisch ein, stützen aber die demokratische Opposition. Unter anderem traf sich Biden im Juli vergangenen Jahres mit der im Exil lebenden Wahlgewinnerin Swetlana Tichanowskaja (39) im Weissen Haus.

6. Russland beeinflusst die westliche Politik

Besonders bei den US-Wahlen 2016, die Trump gewann, soll Russland durch Cyberangriffe und Desinformation seine Finger im Spiel gehabt haben – das beweisen zahlreiche Geheimdienstberichte. Moskau bestreitet die Vorwürfe.

In Hinblick auf die Ukraine bekommt die ideologische Unterwanderung möglicherweise eine neue Dimension: Grossbritannien erhob am Samstag den Vorwurf, dass Russland die gewählte ukrainische Regierung stürzen und durch ein pro-russisches «Marionettenregime» ersetzen will.

7. Propaganda über Medien und soziale Netzwerke

Nach dem Treffen zwischen den USA und Russland am Freitag in Genf warf der russische Aussenminister Sergej Lawrow (71) dem Westen «anti-russische Propaganda» vor. Tatsächlich hat Russland das Spiel mit der Desinformation perfektioniert.

Deutschland hat etwa den russischen Propagandasender «Russia Today» jüngst gesperrt. Noch ist der Zoff nicht ausgestanden, doch die Bundesregierung bewertet RT Deutsch und andere Medien oder Tochterunternehmen als «Schlüsselakteure in einem komplexen Netzwerk, das ihre Narrative im Auftrag russischer staatlicher Stellen verbreitet, unter anderem mit dem Ziel, den politischen Meinungsbildungsprozess in Deutschland zu beeinflussen.»

In den USA hat das Problem eine andere Dimension. So haben Ex-Präsident Donald Trump und sein Team etwa «Fox News» genutzt, um unbestätigte russische Informationen über politische Gegner zu verbreiten, wie ein Bericht von «CNN» enthüllte.

Auch Fox-News-Aushängeschild Tucker Carlson (52) fällt regelmässig mit dem Verbreiten russischer Propaganda auf. Dafür bejubelt ihn selbst das russische Staatsfernsehen.

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