Im polnischen Sagan hat die NATO gestern erstmals ihre neue schnelle Eingreiftruppe, die sogenannte «Speerspitze» getestet. Mit 2100 Soldaten aus neun Ländern, Panzern und Kampfhelikoptern, zwei Kampfjets und Spezialkräften wurde bei der Übung «Noble Jump» (Prächtiger Sprung) der Kampf gegen Separatisten simuliert, die einen Landstrich eingenommen haben.
Vier Nato-Verteidigungsminister sassen in Sagan auf der Tribüne, darunter Ursula von der Leyen aus Deutschland. Berlin führt derzeit gemeinsam mit den Niederlanden die Schnelle Eingreiftruppe. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach von einem Erfolg. «Einer für alle und alle für einen ist das Grundprinzip unserer Allianz», sagte er. «Ich bin beeindruckt, was ich gesehen habe.»
10'000 Soldaten aus 18 Staaten üben 2015 in Polen
Die schnelle Eingreiftruppe der Nato wird vor allem als Abschreckung gegen Russland aufgebaut. Wenn nötig, sollen Nato-Soldaten künftig innerhalb von zwei bis fünf Tagen bereit für die Verlegung in ein Krisengebiet sein. Stoltenberg betonte, dass die Nato nicht an einer Konfrontation mit Moskau interessiert sei. «Wir wollen keinen neuen Rüstungswettlauf», sagte er. Trotzdem müsse das Bündnis stark sein. «Die Nato wird sich weiter um Dialog und Kooperation bemühen, aber das kann nicht auf der Grundlage von Schwäche geschehen.»
Rund 10'000 Soldaten aus 18 Staaten üben in diesem Jahr zusammen mit polnischen Einheiten auf den Truppenübungsplätzen des Landes, erklärte das polnische Verteidigungsministerium. Insgesamt sind mehr als 200 Übungen und Manöver bis Jahresende geplant — ein Anstieg um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Polen spricht schon von einem Rekordjahr. «Seit 1989 hatten wir nicht so viele Alliierte auf einmal im Land», sagte General Lech Majewski vom Oberkommando der polnischen Streitkräfte.
«Kann nur Besorgnis in Russland auslösen»
Moskau verurteilt das Vorgehen der NATO. Putin habe klar gemacht, dass Russland anders als die NATO keine Truppen an seine Grenze verlege, sagte der russische Präsidentensprecher Peskow. Die NATO aber stationiere Kriegstechnik in Russlands Nähe und wolle damit das strategische Kräftegleichgewicht ändern. «Dies kann nur Besorgnis in Russland auslösen», betonte Peskow. Der Abstand zwischen der «militärischen Infrastruktur» der Allianz und der russischen Grenze werde immer geringer, sagte Peskow.
USA wollen schweres Gerät für 5000 Soldaten bringen
Zudem greife der Westen auf eine Wortwahl wie im Kalten Krieg zurück. «Das alles zwingt Russland zu Massnahmen, um seine eigenen Interessen und seine Sicherheit zu schützen.» Ängste vor einem Wettrüsten wie im Kalten Krieg spielte der Kreml zugleich herunter. Russland reagiere auf mögliche Bedrohungen, nicht mehr, sagte Putins Berater Juri Uschakow. «Wir sind gegen ein Wettrüsten, denn dies würde unsere eigene Wirtschaft schwächen», betonte er. Der russische Präsident Wladimir Putin hat eine Aufstockung seines Atomraketen-Arsenals angekündigt.
Demgegenüber erwägen die USA, Militärgerät bis hin zu Kampfpanzern für etwa 5000 Soldaten in den Osten des Bündnisgebietes zu verlegen. Das Material soll der «New York Times» zufolge in den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie in Polen, Rumänien, Bulgarien und möglicherweise Ungarn gelagert werden. Es wäre das erste Mal seit Ende des Kalten Krieges, dass Washington schweres Militärgerät in den jüngeren NATO-Mitgliedstaaten stationieren würde, die einst Teil des sowjetischen Einflussbereichs waren.
«Angemessene defensive Massnahme»
Nächste Woche wollen die NATO-Verteidigungsminister über die US-Pläne beraten. Deutschland signalisiert bereits seine Unterstützung. «Es ist eine angemessene defensive Massnahme», sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am Donnerstag am Rande des NATO-Manövers im polnischen Sagan. Sie verwies darauf, dass Westdeutschland im Kalten Krieg von der militärischen Stärke der USA profitiert hat. Jetzt sei es wichtig, dass die NATO auch für den Schutz der östlichen Mitglieder sorge, die sich seit der Annexion der Krim von Russland bedroht fühlen.