Ein grossflächiger Stromausfall auf der iberischen Halbinsel legte den öffentlichen Verkehr, Telekommunikation und vieles mehr innert Sekunden lahm. Doch was steckt dahinter? Blick hat mit Florian Dörfler (42), Professor für Elektrotechnik und Informationstechnik an der ETH Zürich, über einige Theorien gesprochen, die derzeit kursieren.
Wetter-Theorie
Eine Theorie lautet, der der Stromausfall in Portugal sei durch eine Störung im spanischen Stromnetz verursacht worden, die wiederum auf ein «seltenes atmosphärisches Phänomen» zurückzuführen sei. Dies berichten der portugiesische Sender RTP und der britische Sender Sky News unter Berufung auf den portugiesischen Netzbetreiber REN.
Gemäss REN kam es aufgrund extremer Temperaturschwankungen in Spanien zu «ungewöhnlichen Schwankungen» in den Hochspannungsleitungen. Dies werde als «induzierte atmosphärische Variation» bezeichnet, die wiederum zu Unregelmässigkeiten geführt und Synchronisationsstörungen zwischen den Systemen verursacht hätten. Das Phänomen habe aufeinanderfolgende Störungen im gesamten europäischen Verbundnetz zur Folge gehabt, hiess es weiter.
Frankreich-Theorie
Neben der Wetter-Theorie gibt es aber noch eine weitere. Eduardo Prieto, Direktor des spanischen Netzbetreibers Red Eléctrica, sagte gegenüber den Medien, dass eine Trennung von den europäischen Stromverbindungen in Frankreich das Chaos ausgelöst hätte.
Experte Florian Dörfler erklärt gegenüber Blick, dass Spanien tatsächlich selbst viel Energie, besonders erneuerbare Energie, herstelle. Allerdings sei das Land «ziemlich schlecht ans europäische Netz angeschlossen».
Bislang ist die Ursache für den Stromausfall unklar. Die Ermittlungen laufen. Dörfler verweist darauf, dass auch seine spanischen Kollegen bisher noch keine Gründe für den Ausfall nennen konnten. Zudem sei ein solcher Ausfall überraschend, da Stromnetze üblicherweise darauf ausgelegt seien, solche Fehler tolerieren zu können.
Erneuerbare-Energien-Theorie
Dörfler sieht eine mögliche Ursache bei der Netzstabilität und der Regelung von erneuerbaren Energien. Komme es zu einem «Überschuss» an Stromproduktion, entstehe ein Regulierungsproblem. Das heisse wiederum, die Stromerzeugung müsse heruntergefahren werden, führt der Experte weiter aus.
In einem Netz mit konventionellen Energieträgern, wie etwa Kohle, wird der Leistungsüberschuss kurzfristig von den trägen Schwungrädern der Generatoren abgefangen, bevor diese heruntergefahren werden.
Netze mit erneuerbaren Energien sind hierbei allerdings empfindlicher, da diese mit Elektronik eingespeist werden. Ihr Verhalten hängt davon ab, wie die Elektronik geregelt wird. Ausserdem gibt es hier keine Energiepuffer, wie die Schwungräder der Generatoren. Spanien setzt in den kommenden Jahren und auch schon jetzt besonders auf Solar- oder Windenergie. Experte Florian Dörfler spricht von einem Anteil von 80 Prozent erneuerbarer Energien zum Zeitpunkt des Atomausstiegs.
Verwirrung um Sabotage
Anfänglich wurde auch ein Cyberangriff vermutet. Diese Befürchtung hatten Behörden sowohl in Portugal als auch in Spanien zunächst geäussert. Jedoch hat Stromnetzbetreiber Red Eléctrica nach gemeinsamen Untersuchungen mit dem Cyber-Sicherheitsinstitut Incibe und dem Nachrichtendienst CNI die Möglichkeit einer Cyberattacke ausgeschlossen. Der portugiesische EU-Ratspräsident António Costa (63) erklärte ebenfalls, es gebe keine Hinweise auf eine solche Attacke.
Die spanische Regierung hat sich bisher nicht zur Ursache geäussert. Ministerpräsident Pedro Sánchez (53) sagte am Montag lediglich, man schliesse nichts aus. Der nationale Staatsgerichtshof in Madrid leitete unterdessen Justizermittlungen dazu ein. Spaniens nationales Institut für Cybersicherheit untersucht den Fall ebenfalls.
Chaotische Szenen am Montag
Die Menschen auf der iberischen Halbinsel mussten teilweise über neun Stunden ohne Elektrizität auskommen. Passagiere sassen in Zügen, U-Bahnen und Aufzügen fest. Reisende strandeten zudem an den Flughäfen. Auch Internet und Telefonverbindungen waren vorübergehend gestört.
In Ballungszentren, etwa Madrid und Barcelona, kam es zu chaotischen Szenen im Verkehr, weil Ampeln ausfielen. Spitäler mussten auf Notbetrieb mit Stromgeneratoren umschalten.
In der Nacht auf Dienstag normalisierte sich die Lage weitgehend.