Westerwelle über die schlimmsten Momente seiner Leukämie
«Ich dachte, so fühlt sich also das Sterben an»

«Das schlimmste war die Bestrahlung. Was man selber als Immunsystem hat, wird zerstört. Man wird selber dem Tod nahe gebracht, um überleben zu können.» Gestern sprach Deutschlands Ex-Aussenminister Guido Westerwelle erstmals öffentlich über seinen Krebs.
Publiziert: 09.11.2015 um 15:38 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 20:06 Uhr

Heute gehe es ihm mal besser mal schlechter, sagt Guido Westerwelle (53). Das Sprechen fällt dem ehemaligen Aussenminister Deutschlands noch schwer. Seine Mundhöhle ist etwas entzündet – eine Abstossungsreaktion der Stammzelltransplantion. «Das ist aber alles hinzukriegen», so Westerwelle gestern in der ARD-Talk-Sendung bei Günter Jauch. Es ist der erste Fernsehauftritt des 53-Jährigen seit Beginn seiner Krebs-Erkrankung.

Im Sommer 2014 ging Westerwelle wegen einer Sportverletzung zum Arzt. «Ich war topfit, habe immer meine Vorsorgeuntersuchungen gemacht, war in guter Kondition, hatte viele Pläne für die Zeit nach der Politik.» Die Diagnose Leukämie habe ihn «völlig unvorbereitet» getroffen. «Das habe ich überhaupt nicht verstanden in dem Moment.»

Schnell sei klar gewesen, dass die Chemotherapie nicht ausreichen werde: Stammzelltransplantation als letzter Ausweg. «Das schlimmste war die Bestrahlung. Was man selber als Immunsystem hat, wird zerstört. Man wird selber dem Tod nahe gebracht, um überleben zu können.»

Er sei durch die Krankheit kein anderer Mensch geworden, aber er habe sich verändert, so Westerwelle. Die ganze Zeit der Krankheit sei mit Todesangst verbunden.

An einen Moment erinnert er sich besonders intensiv: «Ich bin in einen Zustand verfallen, wo ich wie nackt in der Kühlkammer lag, gezittert habe wie verrückt.» Herz, Puls, Kreislauf – nichts habe mehr funktioniert. «Da gab es einen Moment, wo ich gedacht habe, so fühlt sich also das Sterben an», sagt Westerwelle. «Das ist ein Moment, den gönnt man niemandem. Den wird man nie vergessen und das macht einem auch sehr bescheiden.»

Er habe aus der Krankheit Lebenslehren gezogen. «Krebs und die Hoffnung, dass man ihn überwindet macht alle Menschen gleich.» Ihm sei so viel Mut zugesprochen worden: «Von anderen Erkrankten, von Angehörigen, von wildfremden Menschen auf der Strasse. Und ich weiss, dass das die eigene Batterie auflädt, das gibt Lebenskraft.»

Die Transplantation ist inzwischen ein Jahr her. Nach 15 Tagen in der Isolation durfte Westerwelle das Spital verlassen. «Mein Mann hat mich im Rollstuhl auf die Strasse gefahren. Laufen konnte ich noch nicht. Und als ob man eine Reise zum Mond machen würde, war man erstaunt über das Grün, das Licht, die Bäume. Man lernt das Einfache schätzen und lieben.»

Schritt für Schritt komme er nun ins Leben zurück.: «Ich bin jetzt ein Jahr durch, das heisst aber nicht, dass ich es überstanden habe.» Das neue Immunsystem greife den alten Körper an. «Diese Dämonen, die man da bekämpft, die sitzen ja immer noch auf Kopf, auf Schultern überall.»

Doch Westerwelle ist guter Hoffnung und hat ein erklärtes Ziel: «Ich möchte nicht nur überleben, ich möchte leben.» (mad)

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