Weltweite Netzwerke aufgedeckt
Wie Sadisten im Internet Jagd auf Minderjährige machen

Sadisten suchen gezielt minderjährige Opfer in Chatgruppen, um ihr Vertrauen zu gewinnen und sie danach zu Nacktfotos zu zwingen. Recherchen zeigen, wie die Sadisten dabei vorgehen.
Publiziert: 14.03.2024 um 19:24 Uhr
1/5
«Cybergrooming» beginnt oft harmlos. Kinder gelangen über Bekanntschaften in die Fänge erwachsener Täter. Diese manipulieren die Jugendlichen gezielt.
Foto: shutterstock

Sexuelle Übergriffe sind eine der grössten Gefahren für Kinder im Internet. Anders als in der Offline-Welt ist in Chat-Portalen oder sozialen Netzwerken nicht immer klar, wer sich hinter einem Profil verbirgt. 

Das sogenannte «Cybergrooming», wie das gezielte Manipulieren Minderjähriger über das Internet genannt wird, entsteht aus anfänglich harmlosen Bekanntschaften. Nachdem Vertrauen aufgebaut wurde, entwickelt sich nach und nach eine Spirale aus Gewalt, Abhängigkeit und Angst. Ein typisches Muster: Die anonymen Männer verlangen von ihren Opfern Nacktfotos.

Im Netz tummeln sich in den letzten Jahren vermehrt Sadisten, die Minderjährige zu Nacktfotos mit Selbstverletzungen zwingen. Neue Recherchen des «Spiegels», der «Washington Post» und das rumänische Medium «Recorder» zeigen: Sadisten verkehren in einem weltweiten Netzwerk und organisieren sich in über 50 spezifischen Chatgruppen auf Discord und Telegram.

«Ich verstümmele mich, und sie würdigen das»

Die sadistische Szene nennt sich selbst nur «Communitiy (COM)». Die Sadisten fordern, dass sich ihre Opfer selbst verletzen und ihnen Fotos der Wunden zuschicken. Das Ziel: Das eigene Machtgefühl und die Erniedrigung von Minderjährigen. Die Fotos von Selbstverletzungen und Missbrauchsfällen werden im Anschluss unter den Sadisten geteilt. Sogar Bilder und Videos von Morden sollen sich in den Chatgruppen der COM-Szene finden. 

Eine Betroffene (18) erzählt dem «Spiegel», wie sie in die Fänge dieser Gruppen geriet. Mit zirka 15 Jahren trat Sophia* einem virtuellen Chatroom auf der Plattform Discord bei. Zu diesem Zeitpunkt ging es der jungen Frau psychisch sehr schlecht. Zunehmend verlangten die Männer im Chatroom von ihr, dass sie Fotos mit Selbstverletzungen teilt. Im Gegenzug stiess die junge Frau auf Bestätigung und Lob. Es sei eine Art Deal gewesen: «Ich verstümmele mich, und sie würdigen das.» 

Es werden auch «Liveshows» inszeniert

Durch anfängliche Komplimente erhalten Cybergrooming-Täter immer mehr Kontrolle über ihre Opfer. «Sie sind Meister der Manipulation», erklärt die deutsche Psychologin Julia von Weiler in einem Podcast der «Zeit». 

Die Nutzer organisieren sogenannte «Liveshows». Dabei können sie gemeinsam an einem Videoanruf teilnehmen, wenn ein Mädchen vor der Kamera einen bestimmten Auftrag ausführt. 

Fokus auf Jugendliche mit psychischen Problemen

Die amerikanische Bundespolizei FBI warnt seit letztem Jahr vor dem Netzwerk. Viele Mitglieder hätten das Ziel, ihre Opfer in den Selbstmord zu treiben. Täter fokussieren sich dabei gezielt auf Teenager mit psychischen Problemen.

Setzen die Jugendlichen die Vorgaben nicht mehr um, werden sie bedroht und beschimpft. Das musste auch Sophia erleben. Die Täter drohten, ihrer Mutter etwas anzutun. Die junge Frau war verzweifelt, versuchte, sich sogar das Leben zu nehmen. Mit Hilfe einer Therapie schaffte sie es, sich aus den Fängen der Gruppe zu befreien. 

Zerschlagung «eine der grössten Prioritäten»

Über die internationalen Ermittlungen zur «COM» schreibt das deutsche Bundeslandeskriminalamt auf Nachfrage des «Spiegels», dass es im Austausch mit den Landesbehörden, Interpol und Europol stehe. Bei Europol will man sich zu den laufenden Ermittlungen auf Anfrage des «Spiegels» nicht äussern. Interpol liess eine Anfrage gegenüber dem Medium offen.

Die Chatplattform Discord, auf der sich Sadisten ihre Opfer suchen, erklärte, die Zerschlagung der Netzwerke sei «eine der grössten Prioritäten des Sicherheitsteams». Telegram teilte dem «Spiegel» mit, «Kindesmissbrauch und Gewaltaufrufe» seien auf ihrer Seite explizit verboten. Jeden Tag würden Tausende Inhalte entfernt. (ene) 

*Name geändert 


Fehler gefunden? Jetzt melden