«Vier Jahre nach der Revolution verfügt Tunesien noch nicht über einen nationalen Plan zur Schaffung von Jobs», sagt Salam Ayari, Generalsekretär der Union der Arbeitslosen mit Hochschulabschluss (Union des chômeurs diplomés UDC) im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda.
Die UDC zählt zu den Organisatoren des Weltsozialforums, das vom 24. bis 28. März in Tunis stattfindet. Die Organisation hat 16'000 Mitglieder und ist in allen Provinzen mit insgesamt 170 lokalen Büros als Ansprechpartner vertreten.
Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt heute in Tunesien nach Angaben des Gewerkschaftsbundes Union Générale des Travailleurs de Tunisie UGTT 31 Prozent. Bei den Erwerbslosen mit Hochschulabschluss sind es sogar 45 Prozent, das sind 350'000 Personen. Und jedes Jahr schliessen rund weitere 80'000 Studierende die Hochschule ab, mehrheitlich junge Frauen.
Viele arbeitslose Hochschulabgänger hatten sich mit Demos und Sit-ins am Volksaufstand beteiligt, der am 14. Januar 2011 zum Sturz von Machthaber Zine al-Abidine Ben Ali führte. «Für uns hat sich seither nichts geändert», sagt Ayari. Bis heute sei die Wirtschaftspolitik gleich geblieben wie unter Ben Ali.
Der grösste Arbeitgeber in Tunesien ist der Staat. Auf die 1000 neuen Stellen, die das Bildungsministerium jedes Jahr schafft, bewerben sich gemäss Ayari jeweils mehrere zehntausend Personen.
In Gesprächen mit Premierminister Habib Essid und Arbeitsminister Zied Ladhari, einem früheren Sprecher der islamistischen Nahda-Partei, fordert die UDC, Anstellungskriterien einzuführen. Zudem solle ein Komitee aus Vertretern des Gewerkschaftsbundes UGTT, des Arbeitsministeriums und der UDC die Anstellungen überprüfen, um Korruption zu bekämpfen. Denn oft werde für ein Anstellung bezahlt.
Besonders prekär ist die Lage im Privatsektor. Wenn Unternehmen junge Arbeitslose anstellen, übernimmt der Staat während eines Jahres 150 Dinar (umgerechnet rund 75 Franken) des Monatslohnes, zudem erhalten die Unternehmen eine Steuerreduktion, wie Ayari sagt.
Oft zahlten die Patrons aber ihren Lohnanteil von 300 Dinar nicht und stellten nach einem Jahr einen anderen jungen Arbeitslosen an. «Auf diese Weise werden keine Stellen geschaffen», sagt Ayari.
Die UDC unterstützt ihre Mitglieder auch dabei, eigene Projekte zu entwickeln. So starten mehrere Personen beispielsweise zusammen eine Käseproduktion. Die UDC hat aber nicht die Mittel, um solche Projekte längerfristig zu begleiten. Bisher gibt es dafür jedoch keine andere Institution.
Seit dem Terroranschlag auf das Nationalmuseum Bardo von Tunis am vergangenen Mittwoch befürchtet Ayari, dass die Regierung, welche die Bekämpfung von Terrorismus als prioritär bezeichnet, nun andere Themen wie die ökonomische Entwicklung und die Schaffung von Jobs vernachlässigt.
«Um den Terrorismus zu stoppen, ist es nötig, Lösungen für die Armut und die Arbeitslosigkeit zu finden», sagt Ayari. Denn gerade in armen Vierteln würden die Jungen oft einer Gehirnwäsche ausgesetzt: Damit sollen sie davon überzeugt werden, sich den Dschihadisten in Libyen, Syrien oder Irak anzuschliessen. Dafür werde ihnen deutlich mehr bezahlt. Und wenn sie dabei ums Leben kommen, seien sie Märtyrer, werde ihnen gesagt.