Die Arbeit des Unterhauses begann auf Einladung von Parlamentspräsident John Bercow um 12.30 Uhr (MESZ), das Oberhaus wollte am Nachmittag wieder zusammentreten.
Johnson verkürzt extra Uno-Besuch
Der britische Premierminister Boris Johnson kehrte kurz zuvor von einem Besuch bei der UNO in New York nach London zurück. Er wollte sich am Nachmittag an die Abgeordneten wenden und sich ihnen gegenüber noch einmal zu dem Gerichtsentscheid äussern, der für ihn eine krachende Niederlage bedeutete.
In einer ersten Reaktion hatte er erklärt, die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Zwangspause der Parlaments sei nicht gerecht, er sei damit «überhaupt nicht einverstanden», aber werde sie respektieren. Johnson hatte die Zwangspause angeordnet, was ihm den Vorwurf der Opposition eintrug, er wolle mitten im Brexit-Machtkampf das Parlament mundtot machen.
Supreme Court stärkt Position des Parlaments
Das oberste Gericht Grossbritanniens hat mit seinem Urteil zur Zwangspause des Parlaments der Brexit-Strategie von Premierminister Boris Johnson einen massiven Schlag versetzt. Mit der Fortsetzung der Arbeit ist die Position des Parlaments im Ringen um den Brexit nun gestärkt. Vor dem Beginn der Zwangspause am 10. September hatten die Abgeordneten ein Gesetz verabschiedet, das Johnson daran hindern soll, einen EU-Austritt Grossbritanniens ohne Abkommen (No-Deal-Brexit) durchzusetzen.
Der Regierung wird darin eine Frist bis zum 19. Oktober gesetzt. Wenn bis zu diesem Datum kein Brexit-Abkommen mit der EU vereinbart ist, muss der Premierminister in Brüssel eine dreimonatige Verschiebung des für den 31. Oktober geplanten EU-Austritt Grossbritanniens beantragen.
Der Brexit-Hardliner Michael Gove, der im Kabinett für die No-Deal-Brexit-Planungen zuständig ist, kündigte an, dass die Regierung ihre Planungen für das weitere Vorgehen am Mittwoch im Parlament vorstellen wolle. Gove sagte dem Sender BBC, die Regierung müsse sich seiner Ansicht nach nicht dafür «entschuldigen, unseren Austritt aus der Europäischen Union voranzubringen».
Corbyn fordert Johnsons Rücktritt
In mehreren britischen Zeitungen, die einen Brexit befürworten, wurde die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs negativ aufgenommen. «Wir lieben sie nicht», titelte das Boulevard-Blatt «The Sun» unter Bezug auf die Gerichtspräsidentin Brenda Hale. Der «Daily Telegraph» beschrieb Johnson als einen «Anwalt des Volkes» gegen das «Establishment», das den Brexit aufhalten wolle.
Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour-Partei forderte Johnson am Dienstag zum Rücktritt auf. Die «höchste Priorität» liege für Labour derzeit jedoch darin, einen Brexit ohne Abkommen am 31. Oktober zu verhindern, hatte Corbyn der BBC gesagt.
Generalstaatsanwalt lehnt Rücktritt ab
Der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox hat Forderungen nach einem Rücktritt wegen der schweren Niederlage der Regierung im Streit um die Zwangspause des Parlaments zurückgewiesen.
Bei der ersten Sitzung des Unterhauses nach der Aufhebung der Zwangspause des Parlaments sagte Cox am Mittwoch: «Ich akzeptiere, dass wir verloren haben. Wir lagen falsch, was das Urteil des obersten Gerichts betraf.» Aber es sei vertretbar gewesen, zu einem anderen Schluss zu kommen.
Die Rücktrittsforderungen waren aufgekommen, weil Cox der Regierung empfohlen hatte, die Parlamentspause bei Königin Elizabeth II. zu beantragen.
Cox betonte, das Urteil sei ein Akt richterlicher Gesetzgebung. «Der Supreme Court hat neues Recht geschaffen», betonte er. Von nun an sei es unter der Kontrolle der Richter, ob die Länge der üblichen Parlamentspause akzeptabel sei, sagte der Generalstaatsanwalt. Das sei vorher nicht der Fall gewesen.