Die Türkei ist ein schwieriger Bündnispartner. Beharrlich sägt die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan an den Grundrechten ihrer Bürger. Gleichzeitig ist das Land geostrategisch von grösster Bedeutung – und mit 80 Millionen Einwohnern ein grosser Markt für die Exportwirtschaft.
In diesem Widerspruch steckt auch die Schweiz. Seit Juni 2018 liegt ein revidiertes Freihandelsabkommen zwischen dem Efta-Mitglied Schweiz und Ankara vor – ratifiziert ist es noch nicht. Der Bund zögert angesichts von Erdogans hoch umstrittenem Kurs.
Vertrag unter Druck
Jetzt gerät das Vertragswerk noch mehr unter Druck: Die Demokratischen Juristinnen und Juris-ten, ein Zusammenschluss linker Schweizer Rechtsgelehrter, wenden sich per Brief an die Landesregierung und fordern Wirtschaftsminister Guy Parmelin (60) samt Kollegen auf, Türkei-Verträge auf Eis zu legen.
«Sollte sich die Türkei nicht im Stande sehen, faire Verfahren zu gewährleisten, ersuchen wir den Bundesrat höflich, auf sämtliche Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei und mindestens auf die Ratifizierung des modernisierten Freihandelsabkommens sowie des bilateralen Landwirtschaftsabkommens zu verzichten», heisst es in dem Schreiben, das SonntagsBlick vorliegt.
Anlass ist Erdogans jüngster Angriff auf die Gewaltentrennung: 18 türkische Anwälte, welche Beschuldigte in Terrorprozessen verteidigt hatten, sind zu Haftstrafen von bis zu 13½ Jahren verurteilt worden. Während der Verhandlungen gegen Mitglieder einer verbotenen linksradikalen Gruppe warf das Gericht ihnen vor, selbst der Organisation anzugehören. Offensichtliches Ziel dieser Strategie ist es, Rechtsvertreter von «Staatsfeinden» einzuschüchtern.
Anwalt in Lebensgefahr
Die Juristen bestreiten alle Vorwürfe. Zwei der Anwälte, Ebru Timtik und Aytaç Ünsal, sind seit Februar im Hungerstreik. Timtik schwebt in Lebensgefahr. Es folgte breite internationale Kritik am mutmasslich unfairen Verfahren. Der Türkei werden schwerwiegende Verstösse gegen die Menschenrechtskonvention vorgeworfen.
Die angegriffenen türkischen Anwälte gehören einem Verband an, der mit den Demokratischen Juristinnen und Juristen in der Schweiz verbunden ist.
In deren Schreiben heisst es weiter: «Die Schweiz, Depositarstaat für 79 völkerrechtliche Verträge, darunter die Genfer Konventionen, und Sitz des Menschenrechtsausschusses, kann sich keine Geschäftspartner leisten, die systematisch Völkerrecht missachten – und sei es nur, um nicht jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren.»