Was geht denn da gerade in den USA ab? Der so sanftmütig scheinende US-Präsident Joe Biden (79) fährt plötzlich seine Krallen aus. «Donald Trump und die Republikaner verkörpern einen Extremismus, der die Fundamente unserer Republik bedroht», schimpfte der Demokrat gegen den Republikaner vor einer Woche.
Und im seit Jahrzehnten republikanisch dominierten Bundesstaat Alaska hat die indigene Demokratin Mary Peltola (49) bei Nachwahlen fürs Repräsentantenhaus die Trump-Freundin und ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin (58) geschlagen. Auch bei fünf weiteren Nachwahlen haben die Demokraten überraschend gut abgeschnitten.
Politologen haben bisher Bidens Demokraten für die Zwischenwahlen am 8. November, bei denen das Repräsentantenhaus sowie ein Drittel des Senats neu gewählt werden, den Verlust der Mehrheit vorausgesagt. Nun aber gehen die Demokraten in die Offensive. In den Umfragen haben sie die Republikaner nach neun Monaten überholt und liegen um einen Prozentpunkt vorne. Ist die drohende Schlappe abgewendet?
Extreme Kandidaten bei den Republikanern
Dazu sagt Claudia Brühwiler (40), USA-Expertin an der Uni St. Gallen: «Die jetzigen Umfragewerte stimmen die Demokraten optimistisch, dass eine Mehrheit im Repräsentantenhaus möglich wäre und die Verluste insgesamt weniger dramatisch ausfallen, als zu Beginn des Jahres befürchtet wurde.»
Normalerweise seien die Midterms eine Art Abstimmung über die Präsidentschaft und Verluste für die regierende Partei vorprogrammiert. «Aber aufgrund der Tatsache, dass viele der republikanischen Vorwahlgewinner aus dem Trump-Lager für den Durchschnittswähler als zu extrem gelten, zweifeln einige Experten an deren Siegeschancen.» Kommt dazu, dass Donald Trump (74) wegen der Razzia in seinem Golfklub in Florida immer mehr in Bedrängnis gerät.
Abtreibungsgesetz mobilisiert
Es gibt laut Brühwiler aber auch andere Gründe, warum die Demokraten zulegen. «Der Erfolg von Bidens Sozial- und Klimapaket kam sicherlich zur richtigen Zeit. Gleichzeitig spielte ihm in die Hände, dass der Abtreibungsentscheid des Supreme Courts die demokratische Basis und auch viele unabhängige Wählerinnen und Wähler aktivieren wird.»
Mehr zu Trumps drohender Pleite
Dieses Urteil des Obersten Gerichtshofs, welches das bisher landesweit geltende Recht auf Schwangerschaftsabbrüche kippt, werde ein wichtiger Mobilisierungsfaktor in vielen Staaten sein – allerdings auf beiden Seiten. Es werde nicht nur zu Verlusten der Republikaner führen, da in einigen Staaten die Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich einen konservativen Kurs bevorzuge.
Wer die Wahlen im Herbst gewinne, hänge jedoch vor allem von einem Thema ab: der Wirtschaft. Die wirtschaftliche Entwicklung werde noch wichtiger sein als «diese Kulturkampf-Themen», meint Brühwiler. Und sie folgert daraus: «Der Präsident wird mit Sorge die wirtschaftlichen Entwicklungen beobachten. Das ist ein Terrain, auf dem seine Gegner in der Regel punkten.»