Daniel Ortega galt als Held der Linken. Er ist der Mann, der als Anführer der Sandinisten vor vierzig Jahren die blutige Herrschaft des Diktators Anastasio Somoza in Nicaragua beendete.
Von überall in der Welt erhielt Ortega Applaus. Auch aus der Schweiz. Sofort nach Somozas Sturz wurde die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in Nicaragua aktiv. Die Solidarität mit dem zentralamerikanischen Land war so gross, dass rund 800 Schweizer dorthin reisten, um beim Wiederaufbau zu helfen.
Der einstige Hoffnungsträger ist zum Autokraten geworden
Von der Euphorie ist nichts mehr übrig. Aus Ortega, dem einstigen Hoffnungsträger, ist ein selbstherrlicher Autokrat geworden. Proteste lässt er mit Gewalt niederknüppeln. 212 Menschen kamen dabei seit Mitte April ums Leben.
Das zwingt auch die Schweiz zum Umdenken. Rund 13 Millionen Franken investiert die Deza jährlich für die Entwicklungshilfe in Nicaragua. Nun sei eine «Denkpause» notwendig, heisst es auf Anfrage. Die Schweiz könne ihre Zusammenarbeit mit der Regierung in Managua nicht fortsetzen, als sei nichts geschehen: Die Lancierung der «Kooperationsstrategie 2018–21» wurde verschoben, das ganze Portfolio einer Überprüfung unterzogen. Suspendiert sind Zahlungen für Projekte, die gemeinsam mit der Regierung umgesetzt werden. Vorhaben, die sich in der angespannten Sicherheitslage nicht mehr durchführen lassen, werden gestrichen, heisst es bei der Deza.
Unterstützung für Rentner gekürzt
Ausgelöst hat die Unruhen eine geplante Sozialreform. Der 72-jährige Ortega wollte damit die Unterstützung für Rentner um die Hälfte kürzen – angeblich, um den Zusammenbruch der Sozialsysteme zu verhindern. Kritiker werfen dem Staatschef vor, die Staatskassen geplündert und das Geld für fragwürdige Projekte ausgegeben zu haben.
Die Sozialreform zog Ortega zwar wieder zurück, doch die Gewalt, mit der er gegen Demonstranten vorgehen liess, befeuerte den Unmut der Bevölkerung. Die Proteste reissen nicht mehr ab. Inzwischen wird immer lauter Ortegas Rücktritt gefordert.
Biel hält an Hilfe für Partnerstadt fest
Über die ungewisse Lage in Nicaragua ist man auch in Biel BE besorgt: Eine Partnerschaft verbindet die Stadt seit vielen Jahren mit dem nicaraguanischen San Marcos. Städtepartnerschaft-Vorstandsmitglied Hans Müller (76) ist traurig und resigniert: «Überall passiert das Gleiche.» Bleibe jemand zu lange an der Macht, sei plötzlich nur noch wichtig, sie nicht mehr zu verlieren. «Die frühere Vision einer besseren, gerechteren Gesellschaft geht vergessen.» Vor allem die jungen Menschen im Land, sagt Müller, fühlten sich um ihre Zukunft betrogen.
Anders als die Deza wollen er und die anderen Mitglieder der Städtepartnerschaft an der Hilfe für das zentralamerikanische Land festhalten, beispielsweise an Investitionen in die Bildung, darunter auch an der Unterstützung der Bibliothek in San Marcos.
Hans Müller steht täglich in Kontakt mit Familien in Nicaragua, von denen er einige seit Jahrzehnten kennt. Das Land befinde sich im Stand-by-Modus, sagt er. Die Schulen hätten den Ferienbeginn vorgezogen, die Menschen könnten nicht mehr zur Arbeit. Durch die Strassenblockaden verteuerten sich Grundnahrungsmittel wie Reis und Bohnen rasant. Immer mehr Waffen seien im Umlauf. «Wir leiden mit unseren Freunden mit.»
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der mehr als 30 Nationen angehören, sprach sich gestern für Neuwahlen aus. Sie sollten spätestens in 14 Monaten stattfinden. Offiziell wären die nächsten Wahlen erst 2021.