Wasserstoff, Gas, Kobalt
Scholz und Habeck auf Schatzsuche in Kanada

In etwa zwei Dutzend Ländern auf vier Kontinenten hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seit seiner Vereidigung im Dezember schon vorgestellt. Für kein einziges davon hat er bei seinen Antrittsbesuchen so viel Aufwand betrieben wie jetzt für Kanada.
Publiziert: 22.08.2022 um 15:55 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2022 um 13:24 Uhr
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird in Montreal von Justin Trudeau (l), Premierminister von Kanada empfangen. Im Mittelpunkt der Reise steht die Zusammenarbeit beider Länder im Klima- und Energiebereich. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Foto: KAY NIETFELD

Drei Tage nimmt er sich Zeit für das flächenmässig zweitgrösste Land der Welt, das aber noch nicht einmal halb so viele Einwohner hat wie Deutschland. Zum Vergleich: Im deutlich mächtigeren und wirtschaftsstärkeren Nachbarland USA war er im Februar nur halb so lange zum Antrittsbesuch.

Das ist aber noch nicht alles: Scholz hat sich für diese Reise Verstärkung geholt. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) flog am Sonntagabend mit ihm nach Montreal, der ersten von drei Reisestationen. Die beiden waren zuvor erst einmal zusammen unterwegs, im Mai bei einem Nordsee-Gipfel in Dänemark.

Ausserdem wird Scholz erstmals von einer grösseren Wirtschaftsdelegation begleitet, die von Industriepräsident Siegfried Russwurm angeführt wird und der ein Dutzend Spitzenmanager angehören, darunter die Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen, Bayer, Siemens Energy und Uniper. Insgesamt fliegen mehr als 80 Passagiere in der Regierungsmaschine mit.

Aber wofür betreiben Scholz und Habeck den ganzen Aufwand? Es gibt wirtschaftliche und politische Gründe dafür:

- Bodenschätze: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingt Deutschland, sich in seinen Wirtschaftsbeziehungen breiter aufzustellen. Das gilt ganz akut für den Energiebereich, in dem man sich von russischen Gaslieferungen unabhängig machen will. Kanada hat zwar Flüssiggas zu bieten, davon kann Deutschland aber erst mittelfristig profitieren, weil für den Transport über den Atlantik noch Pipelines und Terminals fehlen. Bei der Reise liegt der Fokus deswegen auf der Wasserstoffproduktion. Ausserdem hat die deutsche Wirtschaft an kanadischen Mineralien und Metallen Interesse, unter anderem an Kobalt, Nickel, Lithium und Grafit, die für die Batterieproduktion wichtig sind.

- Bündnis der Demokraten: Scholz brachte den Reiz, den Kanada für ihn ausmacht, nach seiner Ankunft mit einem Satz auf den Punkt: «Das Land verfügt über ähnliche reiche Bodenschätze wie Russland – mit dem Unterschied, dass es eine verlässliche Demokratie ist.» Also eigentlich der perfekte Partner für einen Ausweg aus der Rohstoff-Abhängigkeit von Russland. «Wir teilen nicht nur gemeinsame Werte, sondern auch einen ähnlichen Blick auf die Welt», sagt der Kanzler über Kanada.

Er hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Zusammenarbeit der Demokratien zu stärken, um im Systemwettbewerb mit Autokratien wie China und Russland bestehen zu können. Deswegen hat er demonstrativ Japan vor dem wirtschaftlich für Deutschland bedeutenderen China besucht – anders als seine Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU). Und er macht seinen Antrittsbesuch in Kanada schon nach gut acht Monaten. Merkel liess sieben Jahre bis zu ihrem ersten bilateralen Besuch dort verstreichen.

Mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau versteht Scholz sich jedenfalls schon mal blendend. Der 50-Jährige hat ihn bereits in Berlin besucht, die beiden haben sich auch beim G7-Gipfel in Elmau und beim Nato-Gipfel in Madrid getroffen. Bei dem Besuch wird Trudeau kaum von der Seite des Kanzlers weichen. In Montreal, wo er seinen Wahlkreis hat, führten die beiden am Montag ihre politischen Gespräche. Am Dienstag geht es weiter in die Wirtschaftsmetropole Toronto und schliesslich in das entlegene Stephenville, einen kleinen Ort im nur dünn besiedelten Neufundland.

Von dort wollen Kanzler und Premier dann auch etwas Zählbares mitnehmen: Ein Abkommen über die Kooperation bei Herstellung und Transport von grünem Wasserstoff, der mithilfe erneuerbarer Energien erzeugt wird und eine zentrale Rolle bei der Energiewende spielt. Bei der Nutzung von Wasserstoff entstehen keine Treibhausgase. Doch muss zur Herstellung mit grossem Energieaufwand Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Klimafreundlich ist diese Elektrolyse nur, wenn dafür nachhaltig produzierte Energie verwendet wird, also zum Beispiel Strom aus Sonne oder Wind.

Wind ist in Neufundland reichlich vorhanden, und es gibt genug Platz, um ihn mit Windparks in Energie umzusetzen. Ein fast perfekter Ort für die Produktion von grünem Wasserstoff, der dann als Basis für Kraft- und Brennstoffe dienen kann, um etwa in Industrie und Verkehr Kohle, Öl und Erdgas abzulösen.

Aber es fehlen auch für Wasserstoff noch Transportmöglichkeiten, notwendige Terminals sollen in Kanada bis 2025 entstehen. Der Besuch des Spitzen-Duos Scholz/Habeck wird Deutschland kurzfristig also nicht durch die Energiekrise helfen. Es geht um eine langfristige Bindung. «Schwerpunkt der Reise ist natürlich auf einer Energiepartnerschaft für die Zukunft», sagte Habeck nach der Ankunft in Montreal im ZDF-"Morgenmagazin».

(SDA)

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