Er vermittelt zwischen verfeindeten Völkern, mistet die Kurie aus, krempelt die Vatikanbank um, bezieht Frauen und Schwule mit ein – und vor allem erobert er die Herzen der Menschen im Sturm. Seit Jorge Mario Bergoglio (78) im Frühling 2013 Papst wurde, vermittelt er das Bild einer menschlichen Kirche.
Das zeigt sich manchmal an kleinen Dingen. Wenn er über den Petersplatz geht, gerät die Schweizergarde schon mal in Aufregung. Denn anders als sein Vorgänger gibt sich der Argentinier volksnah, geht auf die Leute zu. Das stresst seine Leibgarde – die Katholiken freuen sich dagegen über ihren zugänglichen Hirten.
Erzfeinde Kuba und USA an einen Tisch gebracht
Aber auch auf der grossen Bühne macht der Papst eine gute Figur. Seine jüngste Leistung: Franziskus hat entscheidend dazu beigetragen, die politische Eiszeit zwischen Kuba und den USA zu beenden. Sowohl Washington als auch Kubas Staatschef Raúl Castro lobten in den letzten Tagen die Vermittlerrolle des Papstes. US-Präsident Barack Obama bedankte sich letzte Woche explizit bei «Seiner Heiligkeit Papst Franziskus».
Die «Bild»-Zeitung hat Franziskus daraufhin für den Nobelpreis vorgeschlagen. Unterstützung gibts von prominenten deutschen Politikern wie etwa SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel (55), der des Papstes Engagement als «friedensstiftend» bezeichnete.
«Die Herzen der Menschen zusammenbringen»
Einer Gruppe neuer Vatikan-Diplomaten erklärte Franziskus kürzlich seine Philosophie: «Die Arbeit eines Botschafters besteht aus kleinen Schritten.» Aber diese seien stets dazu da, «die Herzen der Menschen zusammenzubringen, Bruderschaft zwischen den Menschen zu festigen».
Diesem Prinzip folgend, hat er angedeutet, dass er die Kirche für Homosexuelle öffnen will – unter seinem Vorgänger Benedikt XVI. noch undenkbar. «Einmal hat mich jemand gefragt, ob ich Homosexualität billige», sagte er in einem Interview.
Seine Antwort: «Sag mir: Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er die Tatsache mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück?» Schwule und Lesben, so hiess es in einem Zwischenbericht zur Familien-Synode im Herbst, «könnten die christliche Gemeinschaft bereichern».
Mensch kommt vor der Wirtschaft
Er redet den Politikern ins Gewissen: Bei einem Besuch im Europarat und im EU-Parlament Ende November kritisierte Franziskus die europäische Flüchtlingspolitik, erklärte den Parlamentariern, dass sich Europa nicht um die Wirtschaft drehen dürfe – der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen.
Er zeigt sich dabei demütig: Kurz nach seinem Amtsantritt küsste der Papst einem Häftling die Füsse. Ein Jahr später tat er dies bei Behinderten. Einem 19-Jährigen erklärte er in einem Telefongespräch: «Meinst du etwa, die Jünger hätten Jesus gesiezt? Wir sind nun Freunde und ich duze meine Freunde.» Franziskus ist nahe bei den Menschen, ohne angestrengt oder aufgesetzt zu wirken. Er scheint es ehrlich zu meinen.
Der Kurie ins Gewissen geredet
Darum geht er auch mit seinen Kardinälen, Bischöfen und Priestern hart ins Gericht. Manche Mitglieder der Kurie führten sich auf, als ob sie «unsterblich, unantastbar und unverzichtbar» seien, sagte der Papst beim jährlichen Weihnachtsempfang der Verwaltung im Vatikan.
Intrigen und Karrierestreben hätten die Kurie mit «geistlichem Alzheimer» infiziert. Sie müsse sich ändern: «Eine Kurie, die sich nicht selbst hinterfragt, die sich nicht modernisiert, die sich nicht bessert, ist krank.»
Kein Luxus, kein Prunk
Dazu passt, dass Franziskus in einem kleinen, einfachen Zimmer im vatikanischen Gästehaus wohnt, auf Luxus und Prunk verzichtet. Er scheint vorzuleben, was er von seinen Schäfchen erwartet: Bescheidenheit, Demut, Milde.
Und auch wenn sich die katholische Kirche nicht innert weniger Monate umkrempeln lässt – beim Schlussbericht der Familien-Synode konnte sich die Papst-Linie etwa in Sachen Homosexuellen-Akzeptanz nicht komplett durchsetzen – Franziskus gibt der katholischen Kirche ein menschliches Gesicht. Im Kleinen wie im Grossen. Als nächstes soll er sich vorgenommen haben, dabei mitzuhelfen, das US-Skandalgefängnis Guantanamo zu schliessen. (eg)