Am Donnerstag begann am Internationalen Gerichtshof im niederländischen Den Haag ein Monsterprozess. Südafrika hat Israel vorgeworfen, «systematisch Taten von Völkermord» gegen die Palästinenser im Gazastreifen begangen zu haben.
Vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen schilderten die Rechtsvertreter Südafrikas in Den Haag Beispiele der militärischen Gewalt sowie Äusserungen israelischer Politiker und Militärs in den vergangenen rund drei Monaten. Dies sei mit der «Absicht des Völkermordes» geschehen, hiess es. Demnach strebt Israel eine Zerstörung des palästinensischen Lebens an.
Das Land beruft sich auf die Uno-Völkermordkonvention, die auch Israel unterzeichnet hat. Darin wird Völkermord als eine Handlung definiert, «die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören». Israel bestreitet, diesen Passus verletzt zu haben.
Eilverfahren für Ende des Krieges
Südafrika fordert in einem Eilverfahren auch einen Rechtsschutz für die Palästinenser. So sollten die Richter das Ende der militärischen Handlungen anordnen. Das Gericht, das Konflikte zwischen Staaten klären soll, wird sich zunächst nur mit dem Eilantrag befassen und dann in den nächsten Wochen entscheiden. Ein Verfahren zur Hauptsache, dem Völkermord-Vorwurf, kann Jahre dauern.
Eine Entscheidung des Gerichts ist bindend – auch wenn die Uno-Richter selbst keine Machtmittel haben, diese auch durchzusetzen. Ein negativer Beschluss könnte Israel schaden und den internationalen Druck weiter erhöhen. Es ist das erste Mal, dass Israel sich vor einem internationalen Gericht dem Vorwurf des Völkermordes stellt.
«Gewalt und Zerstörung begann nicht am 7. Oktober»
Israel weist auf sein Recht auf Selbstverteidigung nach den Angriffen der Hamas am 7. Oktober hin. Dabei waren rund 1200 Menschen getötet und etwa 250 aus Israel entführt worden, von denen bislang etwa die Hälfte wieder freigelassen wurde.
Südafrika verurteilte zwar die Angriffe der Hamas. «Aber kein bewaffneter Angriff ist eine Rechtfertigung für die Verletzung der Völkermordkonvention», sagte Justizminister Ronald Lamola. Er sagte weitergehend, dass der Konflikt bereits 1948 mit der Staatsgründung Israels auf palästinensischem Gebiet begonnen habe: «Die Gewalt und die Zerstörung in Palästina und Israel begann nicht am 7. Oktober 2023. Die Palästinenser erleben seit 76 Jahren systematische Unterdrückung und Gewalt.»
«Muster, das auf Absicht des Völkermordes hinweist»
Die Rechtsvertreterin Südafrikas, Adila Hassim, zählte zudem Gewalttaten der Armee auf, wie Bombenangriffe und Blockaden humanitärer Hilfe in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt. Sie sprach von «Taten des Völkermordes» und einem «systematischen Muster, das auf Absicht des Völkermordes hinweist».
Mehr als 23'000 Palästinenser seien getötet worden, mindestens 70 Prozent davon Frauen und Kinder. Dazu habe die israelische Armee allein in den ersten drei Wochen des Krieges über 200 Mal eine sogenannte 2000-Pfund-Bombe eingesetzt. Laut Hassim gehören diese «zu den grössten und zerstörerischsten» Bomben überhaupt.
Südafrika begründete die Vorwürfe auch mit Äusserungen von israelischen Ministern und Offizieren. Zitate wie «Wir werden keinen verschonen», «Wir werden den Gazastreifen von der Erde ausradieren» oder «Israel kämpft gegen menschliche Tiere» seien «Rhetorik des Völkermordes». Diese Rhetorik werde von den Ministern bis an die Soldaten weitergegeben, sagte der südafrikanische Anwalt Tembeka Ngcukaitobi.
Israels Verteidigung am Freitag erwartet
Vor dem Friedenspalast, dem Sitz des Gerichtshofes, hatten sich einige Hundert Anhänger der Palästinenser versammelt. Zugleich zogen auch mehrere Hundert Unterstützer Israels vor das Gericht und erinnerten an die Opfer der Gewalt von Hamas.
Israel soll am Freitag zu den Vorwürfen Stellung beziehen. Kurz vor Beginn der Anhörung wies Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (74) erneut alle Vorwürfe zurück: «Israel kämpft gegen Hamas-Terroristen, nicht gegen die palästinensische Bevölkerung, und wir tun dies in voller Übereinstimmung mit dem internationalen Recht.»
Zudem veröffentlichte der rechtskonservative Politiker am Donnerstagabend eine Videobotschaft, in welcher er sagte: «Heute sahen wir wieder einmal eine auf den Kopf gestellte Welt, in der der Staat Israel des Genozids beschuldigt wird, zu einer Zeit, in der er einen Genozid bekämpft. Eine Terrororganisation hat das schlimmste Verbrechen gegen das jüdische Volk seit dem Holocaust begangen, und jetzt kommt jemand daher, um es im Namen des Holocausts zu verteidigen.» (SDA/mrs)