Das Christkind liegt hinter Gittern. Eingesperrt in einen kargen Käfig fristet der Erlöser sein Dasein in der Weihnachtskrippe einer Methodistenkirche in Kalifornien. Die heilige Maria, eine mannshohe Krippenfigur, steht in einem separaten Käfig daneben. Vater Josef auf der anderen Seite – auch er hinter einem Gitternetz. Ein Schild fragt Besucher: «Was, wenn diese Familie heute in unserem Land Schutz suchen würde?»
Die heilige Familie als Sinnbild für das, was an Amerikas Grenze zu Mexiko jeden Tag passiert. Seit Juli 2017 sind 4500 Kinder von ihren Eltern getrennt worden. Jesus von Nazareth war zwei Jahre alt, als er mit seinen Eltern vor dem Tyrannen Herodes nach Ägypten fliehen musste. Die «Käfigkinder», die Opfer von Trumps Nulltoleranzpolitik, sind oft sogar jünger.
«Das rührt mich zu Tränen», schreibt die Pastorin der Claremont United Methodist Church, Karen Clark Ristine, auf Facebook. Die Kirche nutzt ihre Weihnachtskrippe jedes Jahr für Sozialkritik – etwa an den steigenden Obdachlosenzahlen in Südkalifornien.
Krippen sind ein Spiegel der Gesellschaft, in der sie stehen
Weihnachtskrippen gibt es überall, wo Christen die Geburt Jesu feiern. Selbst Playmobil hat eine im Sortiment. Jeder Krippenbauer stellt dabei die Weihnachtsgeschichte so dar, als läge Bethlehem vor seiner Haustür: In bayerischen Krippen tragen die Hirten Lederhosen, in Japan bringen Samurais anstelle der Könige die Geschenke. Bei den Inuit liegt das Jesuskind auf einem Schlitten, in Afrika ist es schwarz. In Einsiedeln SZ, wo auf 80 Quadratmetern eine Mega-Krippe mit 450 Figuren ausgestellt ist, zeigt sich an den Heiligen Drei Königen die ganze Opulenz des Orients: wehende Seidenfahnen, Frauen unter Sonnenschirmen auf Dromedaren.
In hochpolitischen Zeiten aber wird eine der ältesten politischen Geschichten, in der Arme vor den Mächtigen und Reichen kommen, modern interpretiert. Der Glaube an dieses Ereignis ist ja auch provokant: Ein kleines Baby, das die gesellschaftliche Ordnung neu schreibt. In dem Gott Mensch wird und vor dem selbst Könige auf die Knie fallen. Hineingeboren in eine zerbrechliche Familiensituation. Und all das wird zuerst den Hirten, den Armen, erzählt.
Maria ernährt sich glutenfrei
Es gibt Krippen, die zeigen diese ultimative Geschichte der Menschlichkeit, indem sie aus 10'000 Patronenhülsen gebaut sind. Die Botschaft: Nur Jesus Christus kann Frieden schaffen. Bei einer im Internet erhältlichen «Hipster-Krippe» veranstaltet Josef gerade eine Selfie-Session mit Frau und Kind, die Kühe futtern glutenfrei, die drei Könige kommen auf Segways angerast. Eine andere Darstellung verlegt die heilige Familie vom Stall ins Schlauchboot.
Das Schöne an der heiligen Familie als Kleinkunst: Sie lässt Raum für Interpretationen. Ein Werk der deutschen Krippenbauerin Marlene Moss zeigt Maria, Josef und Jesus in einer Lücke einer stacheldrahtbewehrten Betonmauer. Die Mauer, mit der Israel das palästinensische Autonomiegebiet von Jerusalem trennt? Die Berliner Mauer? Oder nur eine, die in unseren Köpfen existiert? In einer von Krieg und Abschottung geprägten Welt lässt die Darstellung viele Deutungen zu.
Die grösste Einzelwandlung in der Krippengeschichte durfte übrigens Josef durchmachen. Erst ab dem 5. Jahrhundert taucht er in den Darstellungen überhaupt auf – in einer Nebenrolle. Oft wird er damals als alter Mann gezeigt, um deutlich zu machen, dass er nicht der leibliche Vater Jesu ist. In modernen Krippen lässt sich auch das heutige Verständnis von Partnerschaft und Familie ablesen. Eine brasilianische Krippe, die vom päpstlichen Mediendienst Vatican Media auf Facebook veröffentlicht wurde, zeigt das Jesuskind auf dem Schoss von Josef. Die erschöpfte Mutter schläft im Hintergrund.
Von der Geburt Jesu bis hin zur ersten figürlichen Krippendarstellung vergingen mehr als 1200 Jahre. Erst als Franziskus von Assisi im Jahr 1223 eine Weihnachtsmesse mit Futterkrippe, Ochs und Esel abhält, setzt sich allmählich die dreidimensionale Darstellung der Geburt Christi durch. In die privaten Stuben schaffte es die Krippe aber erst mit dem öffentlichen Krippenverbot im Zuge der Aufklärung. Die Verbote wurden zwar um 1825 herum alle wieder aufgehoben – hatten aber längst zur Tradition der Hauskrippe geführt.
Von der Geburt Jesu bis hin zur ersten figürlichen Krippendarstellung vergingen mehr als 1200 Jahre. Erst als Franziskus von Assisi im Jahr 1223 eine Weihnachtsmesse mit Futterkrippe, Ochs und Esel abhält, setzt sich allmählich die dreidimensionale Darstellung der Geburt Christi durch. In die privaten Stuben schaffte es die Krippe aber erst mit dem öffentlichen Krippenverbot im Zuge der Aufklärung. Die Verbote wurden zwar um 1825 herum alle wieder aufgehoben – hatten aber längst zur Tradition der Hauskrippe geführt.