Drama auf Lesbos! Im Flüchtlingslager Moria in Griechenland sind in der Nacht auf Mittwoch mehrere Brände ausgebrochen. Inzwischen ist das Feuer unter Kontrolle. Auch Wohncontainer gerieten in Brand, weshalb die Behörden das Lager evakuieren.
Verletzte oder gar Tote gab es Stand Mittwochmorgen nicht, wie griechische Medien übereinstimmend berichteten. Athen hat zusätzliche Bereitschaftspolizisten zur Insel entsandt. Alle Menschen des nahezu vollständig in Flammen stehenden Lagers wurden in Sicherheit gebracht, berichtet der staatliche griechische Radiosender ERT in den frühen Morgenstunden.
Starke Winde, die zum Teil bis zu 70 Stundenkilometer erreichten, fachten die Flammen an. Hilfsorganisationen und freiwillige Helfer vor Ort berichteten in sozialen Medien von Menschen, denen Rauch und Flammen die Fluchtwege abgeschnitten hätten. Angaben über mögliche Opfer oder Verletzte gibt es derzeit nicht.
Cassis: «Schicken Zelte, Decken, Schlafsäcke»
Die Flammen haben offenbar fast das ganze Lager zerstört. Ein Augenzeuge zu «BBC»: «Ein paar Zelte stehen noch. Aber der Rest des Lagers scheint völlig ausgebrannt.» Tausende Flüchtlingen sind nun obdachlos. Sie brauchen Hilfe.
«Die Schweiz ist besorgt über die Situation in Lesbos», twitterte Aussenminister Ignazio Cassis (59, FDP) am Mittwochmittag. «Wir haben bereits angeboten, humanitäre Hilfsgüter wie Zelte, Decken, Schlafsäcke und Covid19-Schutzausrüstung zu schicken.»
Glättli fordert: Schweiz soll Flüchtlinge aufnehmen
Für Grünen-Präsident Balthasar Glättli (48) reicht das nicht. Er setzt sich dafür ein, dass die Schweiz einige der Flüchtlinge aufnimmt. «Acht Schweizer Städte sind bereit, zusätzliche Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufzunehmen», schreibt er auf Twitter. Nun liege es an den zuständigen Behörden und dem Bundesrat.
Dazu postet er seinen Vorstoss mit dem Titel «Nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria (Griechenland): Hilfe leisten vor Ort und rasch ein Flüchtlingskontingent aufnehmen». Konkret möchte der Politiker wissen, wie der Bundesrat nun reagiert.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordert gleichzeitig, dass die Flüchtlinge untergebracht werden, Hilfe bekommen. «Die Menschen aus Moria harren nach den Bränden mit ihrem Hab und Gut auf der Strasse aus. Sie müssen sofort evakuiert und in Sicherheit gebracht werden. Die europäischen Staaten müssen Griechenland jetzt dabei unterstützen, die fast 13’000 Schutzsuchenden, darunter mehr als 700 unbegleitete Minderjährige, menschenwürdig unterzubringen. Auch die Schweiz muss sich endlich solidarisch zeigen und notfallmässig Menschen aus dem Camp aufnehmen», sagt Pablo Cruchon, Verantwortlicher Migration und Flucht bei Amnesty Schweiz.
Brandstiftung durch Inselbewohner – oder den Migranten selber?
Über die Ursachen der Brände gibt es unterschiedliche Angaben: Manche Lagerbewohner sprachen von Brandstiftung von Inselbewohnern, anderen Berichten zufolge hatten Migranten selbst Feuer gelegt und behinderten danach die Feuerwehr bei den Löscharbeiten. Die Einsatzkräfte der Insel kämpfen parallel bereits seit Dienstagabend mit einem grossen Waldbrand rund 25 Kilometer nordwestlich von Moria.
Klar ist: Vorangegangen an das Drama waren Unruhen unter den Migranten, weil das Lager seit voriger Woche nach einem ersten Corona-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Am Dienstag wurde dann bekannt, dass die Zahl der Infizierten bei 35 liege. Manche Migranten hätten daraufhin das Lager verlassen wollen, um sich nicht mit dem Virus anzustecken, berichtete die halbstaatliche griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA. Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation gebracht zu werden.
Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern, berichtete der Einsatzleiter im Fernsehen. Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei waren im Einsatz. Videos in sozialen Netzwerken zeigten herumirrende, verängstigte Menschen und auch solche, die «Bye bye, Moria!» sangen.
Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis kritisierte am Mittwochnachmittag die «Haltung einiger Migranten», die allen Anzeichen nach Feuer gelegt und die Feuerwehr anschliessend daran gehindert hätten, den Grossbrand zu löschen. «Es kann keine Ausreden geben für gewalttätige Reaktionen aufgrund von Gesundheitskontrollen», sagte er mit Blick auf die Corona-Fälle und entsprechende Tests in dem Camp.
Spannungen in Lager «explodiert»
Viele der mehr als 12'000 Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt im Lager lebten, flohen in die umliegenden Wälder und auf Hügel, andere machten sich auf den Weg zur Inselhauptstadt Mytilini, wie griechische Medien berichteten. Stellenweise sollen sich ihnen Inselbewohner entgegengestellt und ihnen den Weg versperrt haben.
Spannungen habe es in Moria immer gegeben, wegen der Corona-Problematik sei die Situation nun regelrecht explodiert, sagte Mytilinis Bürgermeister Stratos Kytelis dem griechischen Staatssender ERT. Man wisse nicht, wo die Menschen nun untergebracht werden sollten, Tausende seien obdachlos. Auch für die Einheimischen sei die Situation eine enorme Belastung.
Das Flüchtlingslager Moria ist seit Jahren heillos überfüllt, zuletzt leben dort nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums rund 12'600 Flüchtlinge und Migranten – bei einer Kapazität von gerade mal 2800 Plätzen. (nim/jmh/kin)