Wahlkampf in Deutschland
Diese herrliche Langeweile!

Die Bundesrepublik wünscht sich von ihren drei Kanzlerkandidaten mehr Spannung. Warum eigentlich?
Publiziert: 19.09.2021 um 09:57 Uhr
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"Langweilig": Die drei Kandidaten vor dem ARD-Triell am 12. September.
Foto: DUKAS
Reza Rafi

In einer Woche wählt die Bundesrepublik. Das Hauptproblem der Öffentlichkeit heisst: Langeweile. Offenbar sehnt man sich beim Schaulaufen der drei Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD), Armin Laschet (CDU) und Annalena Baerbock (Grüne) nach mehr Unterhaltung.

In seltener Einigkeit wird in das Klagelied eingestimmt. Vom «langweiligsten Wahlkampf aller Zeiten» schreibt die «Welt», die «Süddeutsche» findet SPD-Mann Scholz «noch langweiliger» als CDU-Kandidat Laschet. Nach dem letzten Triell der Amtsanwärter am 12. September in der ARD machte die «Neue Zürcher Zeitung» nicht weniger als «95 Minuten Langeweile» aus. Sogar die «New York Times» schnödete über die Ödnis der deutschen Wahlen. Und ortet ein akutes «Charisma-Vakuum» bei den drei Anwärtern.

Da drängt sich dann doch die Gegenfrage auf: Ist es die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern, das Publikum zu unterhalten? Braucht es Radau in der Manege oder einen charismatischen Leithammel, damit es einem Land und seiner Bevölkerung besser geht?

In der Schweiz gibt es das Attribut des «Arena»-tauglichen Politikers. Die Eigenschaft mag von Vorteil sein, wenn man den Bürgern ein Programm verkaufen will. Vor allem aber, wenn man die Schlagzeilen-Präsenz sucht.

Ob es sich bei Leuten, die für Klicks und Einschaltquote sorgen, zwingend um die besseren Staatslenker handelt, ist indes fraglich.

Gewiss verleitet der politische Schlagabtausch des deutschen Trios nicht zum Griff nach der Popcornschachtel. So sah sich die Grüne Baerbock im Vorfeld mit Plagiatsvorwürfen und dem Verdacht des geschönten Lebenslaufs konfrontiert. Doch sind weder Laschet noch Scholz je auf die Idee gekommen, dies in den TV-Debatten auszuschlachten. Was für eine zivilisierte Kultur!

Wer einmal einen US-amerikanischen Vorwahlkampf im Fernsehen verfolgt hat, weiss: Da wird gelogen, verleumdet und angeschwärzt, dass sich die Balken biegen. Unterhaltsame Politiker der Gegenwart heissen Donald Trump, Silvio Berlusconi, Rodrigo Duterte oder Jair Bolsonaro.

Was diese Herren gemeinsam haben, ist ihr unberechenbares Temperament. Laschet, Scholz und Baerbock hingegen sind ihre fleischgewordenen Parteiprogramme. Verlässlichkeit in typisch deutsch-gründlicher Manier. Die drei mögen fade sein – aber der Wähler weiss, was er an ihnen hat. Das ist echter Bürgerservice.

Allen, die es so richtig fesselnd mögen, ein Tipp: Im westafrikanischen Guinea herrscht gerade Hochspannung, seit die Militärjunta vor zwei Wochen den Präsidenten weggeputscht hat. Das ist packend. Von Venezuela, Syrien oder Afghanistan ganz zu schweigen.

Wie komfortabel ist es doch, in einem politisch stabilen, langweiligen Land zu leben.


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