Bis 46 Grad! Spanien ist zurzeit vor allem wegen der Rekordhitze in den Schlagzeilen. Praktisch im Schatten dieser beunruhigenden Wettermeldungen findet in Spanien aber der ebenfalls heisse Kampf um die vorgezogenen Parlamentswahlen statt.
Zurzeit regieren die sozialistische Partei PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez (51) und die linke Unidas Podemos. Herausforderer ist Alberto Núñez Feijóo (61) vom konservativen Partido Popular (PP). Die Wahlen hätten ursprünglich Ende Jahr stattfinden sollen. Sie werden vorgezogen, weil die Linken bei den Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai ein Debakel erlitten haben.
Die Zeichen stehen auch auf nationaler Ebene auf Machtwechsel, denn in den Umfragen liegt Oppositionsführer Núñez Feijóo mit 33,5 Prozent klar vor Sánchez, der mit seiner PSOE auf 27,7 Prozent kommt.
Ein Alleingang ist für Núñez Feijóo bei einem Wahlsieg allerdings kaum möglich. Für die Regierungsbildung wird er daher auf die rechtspopulistische und nationalkonservative Partei Vox angewiesen sein, die zurzeit 13,2 Prozent erreicht. Seit es solche Koalitionen auf regionaler Ebene gibt, ist eine Partnerschaft auch auf nationaler Ebene kein Tabu mehr.
Rechts wie Melonis Fratelli
Die 2013 gegründete Vox unter dem Präsidium von Santiago Abascal Conde (47) wird immer salonfähiger. Wie ist sie einzuschätzen? Oliver Strijbis (43), Professor für Politikwissenschaft an der Uni Zürich und der Franklin University Switzerland und zuvor an der Universität Carlos III in Madrid, vergleicht sie mit den Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni (46). «Sie sind sehr nationalistisch und konservativ – also vor allem gegen Zuwanderung, Feminismus und die LGBTQI+-Bewegung.»
Ähnlich wie die Fratelli sei auch die Vox postfaschistisch. «Sie idealisieren die Franco-Diktatur, und es stellt sich die Frage, wie demokratisch sie sind.» Bei Vox komme noch die Forderung nach einer Zentralisierung Spaniens dazu. Strijbis: «Sie hassen den baskischen und katalanischen Separatismus.»
Der Wahlkampf fokussiert sich laut Strijbis vor allem auf die Beurteilung der Sanchez-Regierung und ihre Abhängigkeit von Kompromissen mit Separatisten und der radikalen Linken. Politische Inhalte stünden weniger im Zentrum, und wenn doch, gehe es vor allem um symbolische Politik. Strijbis erklärt: «Vox will zum Beispiel LGBTQI+-Fahnen verbieten und bestreitet, dass es geschlechterspezifische Gewalt wie Femizide gibt.»
Aufflammen der Separatistenproteste
Bei einem Wahlsieg der Konservativen dürften daher die Unabhängigkeitsbewegungen wieder aufflammen, meint Strijbis. Er rechnet auch mit einer Beschneidung der Rechte der LGBTQI+-Angehörigen sowie mit einer Aufhebung der «Nur-Ja-ist-Ja»-Gesetzgebung. Unter diesem Gesetz gilt jede sexuelle Handlung ohne ausdrückliche Zustimmung als Vergewaltigung.
Weniger klar sei, welche Wirtschaftspolitik die Konservativen betreiben würden. Strijbis: «In Spanien sind die Konservativen deutlich weniger wirtschaftsliberal als bei uns.» Es gebe aber sicher einen grösseren Fokus auf Privatisierung und Steuersenkung.
Wahlen mitten im heissen Sommer
Kaum ein Thema spielten der Ukraine-Krieg und die herrschende Hitze. Die Linke mache zwar das Naturschutzgebiet Doñana, das wegen des Klimawandels und der umliegenden extensiven Landwirtschaft austrockne, zum Thema, aber mit geringem Erfolg.
Dennoch dürfte das heisse Wetter einen Einfluss auf die Wahlen haben – jedenfalls auf die Wahlbeteiligung. Das Magazin «Politico» zitiert eine spanische Bürgerin: «Wer um alles in der Welt denkt daran, eine nationale Wahl am 23. Juli abzuhalten, einem Sonntag mitten im Sommer, wenn kaum jemand in der Stadt ist?»
Strijbis glaubt, dass der Termin die Wahlbeteiligung drücken wird – mit Einfluss auf das Resultat. Strijbis sagt: «Ich denke, dass vor allem jene Gruppen, die bereits eine geringe Partizipation aufweisen, noch weniger wählen werden. Das sind eher jüngere Wählerinnen und Wähler von Vox und des linken Blocks Sumar.»