Der 6. Januar 2021 schockte die Welt. Ein Mob mit Trump-Fahnen stürmt gewaltsam das Kapitol in Washington. Hunderte dringen ins Parlamentsgebäude. Sie wollen die Präsidentschaft von Joe Biden (81) verhindern. Einige Bewaffnete planen, Abgeordnete zu fesseln, ja sogar den damaligen Vizepräsidenten Mike Pence (64) zu lynchen. Donald Trump (77) hatte die Ausschreitungen angestachelt, weil er seine Abwahl für einen Betrug hielt.
Heute, drei Jahre später, will der Republikaner wieder ins Weisse Haus – und hat gute Chancen, erneut Präsident zu werden. Wären heute Wahlen in den USA, würden 47 Prozent der Amerikaner Trump wählen, ergeben Studien. Biden käme auf nur 44 Prozent der Wahlstimmen. Wie ist so etwas in der ältesten Demokratie der Welt möglich?
Besonders staunt, wer die Bilanz des Demokraten anschaut. Joe Biden hat viele seiner Wahlversprechen gehalten. Er hat massiv in Infrastruktur, Klimaprojekte, in heimische Produktion und ins Gesundheitswesen investiert. Er hat eine Rekordzahl an Arbeitsplätzen geschaffen und die Arbeitslosenrate auf 3,5 Prozent gedrückt, zudem das transatlantische Bündnis gestärkt.
Trotz allem: Biden ist unbeliebt wie noch nie. Laut einer Umfrage schätzten am 3. Januar 2024 nur 39 Prozent der Befragten seine Arbeit, über 56 Prozent sind damit nicht einverstanden. Selbst in den sechs sogenannten Swing-Staaten, wo die Wähler traditionell zwischen Demokraten und Republikanern schwanken, würde Trump heute das Rennen machen.
Gute Bilanz bei Biden, Skandale bei Trump
«Bidens schlechten Umfragewerte stellen einen schon vor Rätsel», sagt Martin Thunert (64), Politikwissenschaftler am Heidelberger Center for American Studies. «Die USA stehen heute wirtschaftlich besser da. Doch es zählt das subjektive Gefühl in der Bevölkerung, dass beispielsweise durch die Inflation die Lebensmittelpreise höher sind als früher.» Zudem sei die Migration an der Südgrenze noch immer sehr hoch. Die illegalen Einwanderer verunsicherten die Gesellschaft.
Donald Trump hat unterdessen mit Skandalen Schlagzeilen produziert. Er hat verschiedene Prozesse am Hals wegen versuchter Wahlmanipulation, Besitz von hochgeheimen Regierungsdokumenten, Zahlung von Schweigegeld an eine Pornodarstellerin, Diffamierung und Betrug. Er meidet Diskussionsrunden im TV mit anderen republikanischen Kandidaten, macht lieber Wahlkampf aus den Gerichtssälen heraus.
Er kündigt an, sobald er «zum dritten Mal» Präsident würde, sämtliche politischen Gegner und Kritiker zu inhaftieren, darunter auch Joe Biden und Hillary Clinton (76). Und er würde die Armee gegen Demonstranten einsetzen. Die mittlerweile verurteilten Stürmer des Kapitols würde er alle begnadigen.
Statt politische Programme vorzustellen, schürt der Ex-Präsident Urängste bei der Bevölkerung. Die Polemik wirkt. Auch das zeigen jüngste Umfragen. Die negativen Nachrichten über ihn scheint er abzuweisen, wie eine Teflon-Pfanne Wasser abweist.
Mehr zu Donald Trumps US-Wahlkampf
Eine Mehrheit der Republikaner glaubt an Trumps «grosse Lüge»
So glauben 61 Prozent der Republikaner weiterhin an Trumps «grosse Lüge», wonach die Wahl 2020 von den Demokraten gestohlen wurde. Ebenso glauben viele Trumps Mär, dass hinter dem Sturm aufs Kapitol das FBI stecke, berichtet CNN. Seine Stammwählerschaft ist überzeugt: Alle die Verfahren gegen ihr politisches Idol sind, wie Trump immer betont, reine Hexenjagd auf ihn.
«Trump hat eine solide Wählerbasis von rund 37 Prozent der Republikaner», sagt USA-Expertin Claudia Brühwiler (41) von der Universität St. Gallen. Daher werde der einstige Immobilienunternehmer ganz sicher Präsidentschaftskandidat.
Doch, dass er auch die Wahlen am 5. November gewinnt, sei noch nicht in Stein gemeisselt. Trump bräuchte Stimmen unabhängiger Wähler. Da könnten eventuelle Urteile in den anstehenden Prozessen noch eine Rolle spielen. «Umfragen haben immer eine Marge des Irrtums», sagt die Politikwissenschaftlerin.
Über einen Punkt sind sich beide Experten sicher: Eines von Bidens grössten Problemen ist sein Image als alter Kandidat. Dass die Medien ständig auf Bilder vom US-Präsidenten fokussieren, der stürzt, stottert, in der Rede den Faden verliert, schafft kein Vertrauen, sagt Claudia Brühwiler. Und Martin Thunert: «Joe Biden fährt gerne Velo. Da zählen nicht die zehn Meilen, die er radelt, sondern der eine Sturz, der mit dem Handy aufgenommen wird.». Trump sei wohl resilienter, was das Alter angeht. Er spiele lieber Golf, wo weniger Malheurs passieren können.