Einen Tag nach dem Ausbruch des Whakaaris in Neuseeland sind sechs Tote bestätigt. Für 8 weitere Personen wird das Schlimmste befürchtet, Dutzende sind verletzt (BLICK berichtete). Larryn W. Diamond (61) kennt den Vulkan gut. Der Professor am Institut für Geologie der Uni Bern beobachtet Vulkane seit Jahrzehnten, hat unzählige davon bestiegen. Als Neuseeländer hat er zum Whakaari eine ganz besondere Beziehung.
BLICK: Sie sind Professor für Geochemie und Petrologie an der Uni Bern, kommen aber aus Neuseeland. Waren Sie schon auf dem Whakaari?
Larryn W. Diamond: Ich war auf allen anderen Vulkanen in Neuseeland, aber nicht auf dem. Der Whakaari war mir immer viel zu unberechenbar.
Warum?
Der Whakaari gehört zur gefährlichsten Klasse von Vulkanen: Den Andesitischen. Es ist zudem der grösste Vulkan Neuseelands, liegt hauptsächlich unter Meer, was ihn noch gefährlicher macht. Sobald Lava aufsteigt, kann es zu Wasserexplosionen kommen, weil das Meerwasser schnell überhitzt. Beim Besuch des Vulkans steigt man aus dem Boot praktisch direkt in den Krater.
Was macht andesitische Vulkane so gefährlich?
Tief im Vulkan enthält ihr Magma viel gelöstes Gas. Wenn das aufsteigt, dann benimmt es sich wie eine geschüttelte Champagnerflasche: Sobald der Korken geköpft wird, entweicht das Gas mit einem Knall. Der Druckabfall bringt das andesitische Magma zum Sprudeln und so explodiert es aus dem Vulkanschlot.
Im Gegensatz zu basaltischen Vulkanen wie dem Ätna, wo hauptsächlich Lava fliesst und sich relativ kontrolliert ihren Weg bahnt?
Genau. Die Lava ist da zwar rund 1200 Grad heiss, aber dank ihres geringen Gasgehalts nicht wirklich explosiv. Zudem bewegt sie sich so langsam fort, dass man ihr davonrennen könnte.
Bilder von Magma-Flüssen hat man auf White Island aber nicht beobachtet.
Das war auch ein relativ kleiner Ausbruch. Die andesitischen Vulkane bergen zudem unzählige andere Gefahren, an denen man sterben kann.
Welche denn?
Die Gase sind hochgiftig und brennend heiss. Neben Wasserdampf beinhalten sie Schwefelwasserstoff und Salzsäure. Wer das einatmet, stirbt. Deshalb müssen Touristen auf dem Whakaari Gasmasken tragen. Ähnliche Konsequenzen hat die ausgestossene Asche. Diese kann 500 bis 600 Grad heiss werden und verbrennt die Haut und Kleidung, wenn sie auf die Erde regnet. Bei der Gasexplosion entstehen zudem Druckwellen, die einen auf der Stelle töten können. Bei den Explosionen werden überdies Steine rausgeworfen, die so klein wie Nüsse oder so gross wie Autos sein können. Zu guter Letzt sind auch die gashaltigen Lavaströme andesitischer Vulkane deutlich schneller als diejenigen von basaltischen. Diese sogenannten Glutwolken erreichen Geschwindigkeiten von mehreren hundert Stundenkilometern. Vor diesen kann man nicht fliehen. Dieses Mal war der Ausbruch eher klein.
Klein? Die Behörden rechnen mit bis zu 13 Toten.
Das ist natürlich eine Tragödie. Sie beweist, dass im Kraterbereich sogar kleine Ausbrüche lebensgefährlich sind. Grosse andesitische Ausbrüche jedoch sind über mehrere Kilometer vom Krater entfernt noch extrem gefährlich. Der Vesuv hat etwa 20'000 Leute in Pompeji begraben. Auf der Karibikinsel Martinique starben Anfang des 20. Jahrhunderts 30’000 Menschen, als der Mont Pelée ausbrach.
Woran sind die Leute auf dem Whakaari gestorben?
Von all den Möglichkeiten, die ich aufgezählt habe, war es hier vermutlich eine Mischung aus Gas und Asche. Die Touristen standen wohl nahe am Krater, der natürlich das beliebteste Ausflugsziel ist. Das würde ich generell nicht empfehlen, weil man dort die geringsten Überlebenschancen hat.
Warum wurden die Touristen überhaupt auf den Whakaari gelassen?
Seit 1914 starb niemand mehr wegen des Vulkans. Ich habe gelesen, dass jedes Jahr 10’000 Touristen die Insel besuchen. Statistisch ist die Besichtigung des Vulkans damit sicherer als manche Autobahnfahrt in Europa. Zudem müssen alle Touristen unterschreiben, dass sie sich bewusst sind, dass sie hier an einen unberechenbaren Ort gehen. Der Vesuv ist auch sehr gefährlich und keine zehn Kilometer daneben wurde die Grossstadt Neapel gebaut. Man gewöhnt sich an die scheinbare Ruhe der schlafenden Vulkane, aber schlafend heisst nicht tot.
Trotzdem hätten die Behörden die Insel schliessen können. Haben die Überwachungssysteme versagt?
Man kann auf Überwachungssystemen vieles sehen. Teilweise Entwicklungen, die in ein paar Wochen oder Monaten passieren, indem man beispielweise die Wölbung und Form des Vulkans misst. Aber dieser Ausbruch war so klein, dass er sich wohl innerhalb einiger Stunden entwickeln konnte. Damit ist die heutige Wissenschaft noch überfordert.
Wie sollte man sich bei einem Ausbruch verhalten?
Wichtig ist, bei Besichtigungen den ganzen Körper mit Kleidung zu schützen, einen Helm und eine Gasmaske zu tragen. Wenn es zu einer Explosion kommt, sollte man sich unter einen Überhang stellen, damit man von keinen Steinen und anderem getroffen wird. Zudem sollte man sich wie beim Grillieren platzieren: Auf der anderen Seite des Rauches. Aber man muss schon sehen: Die Vulkane sind sehr gross, bis man auf die richtige Seite kommt, dauert das. In der Regel hat man bei einem solchen Ausbruch im Kraternähe keine Chance.
Sie denken also nicht, dass Personen noch lebend gefunden werden?
Die Polizei flog über die Insel und sah kein Indiz für Leben. Ich habe auf Videos sehr viel Asche gesehen. Darum denke ich, dass die Chancen zu überleben gegen Null tendieren.