Die Nachricht verbreitet sich wie eine Schockwelle durch Hongkong. Der 71-jährige Jimmy Lai war die letzte prominente und unerschrockene Stimme im Territorium gegen den wachsenden Einfluss Pekings. Jetzt werden die schlimmsten Befürchtungen wahr. Unter der neuen Willkürjustiz in der südchinesischen Metropole ist selbst ein respektierter Geschäftsmann und Milliardär nicht mehr sicher. Am frühen Montag klickten die Handschellen, Lai wurde wie ein Verbrecher abgeführt.
Lai gibt die populäre Boulevard-Zeitung «Apple Daily» heraus, die auch die letzte regierungskritische Stimme in der ehemaligen britischen Kolonie verblieben ist. Jetzt dürfte auch diese Zeitung verstummen. Mit der Verhaftung des prominenten Aktivisten, die auf die Verhaftung von weiteren Aktivisten im Juli folgt, versetzen die Behörden Hongkongs Demokratiebewegung einen vernichtenden Stoss. Dies, nachdem Lai Hongkongs neues Sicherheitsgesetz als «Todesstoss für Hongkong» verurteilt hatte.
Lai gründete den asiatischen Bekleidungsgiganten Giordano und avancierte bald zum Medienunternehmer. Aus seiner Abneigung gegen Pekings wachsenden Einfluss in Hongkong machte er nie ein Geheimnis. Bislang schützte ihn sein Reichtum und sein Ruf als respektierter Unternehmer. Lais Vermögen wird auf 1,2 Milliarden Dollar geschätzt. Doch Pekings Einflussnahme macht neu auch vor Angehörigen der Elite in Hongkong nicht länger Halt, während chinesische Staatsmedien den prominenten Oppositionellen längst als Verräter und Strippenzieher hinter den monatelangen Protesten der Hongkonger Demokratiebewegung im vergangenen Jahr denunziert haben.
Dem Milliardär droht lebenslange Haft
Das auf Druck Pekings in seinem Verwaltungsgebiet neu eingeführte Sicherheitsgesetz gibt Chinas Kommunisten praktisch uneingeschränkte Handlungsgewalt in Hongkong. Lai wurde am frühen Montag wegen des Verdachts auf einen Verstoss gegen das neue Gesetz verhaftet. Lai würden geheime Absprachen mit ausländischen Mächten angelastet, schrieb Mark Simon, ein Mitarbeiter des Medienunternehmers, auf Twitter.
Uniformierte stürmten kurz nach Tagesanbruch Lais Wohnung und nahmen ihn mit. Neben Lai wurden auch seine beiden Söhne Timothy und Ian sowie mehrere Mitglieder der Geschäftsführung festgenommen, berichtete die «Apple Daily». Seitens der Behörden verlautete, der prominente Demokratieführer sei «wegen Kollaboration mit einem fremden Land, aufrührerischen Worten und Verschwörung zum Betrug verhaftet» worden. Es ist unklar, mit welchen ausländischen Mächten Lai zusammengearbeitet haben soll - infrage kommen Grossbritannien und die USA.
Die Verhaftung und Anklageliste klingen wie zu Zeiten der Kulturrevolution in China, als Regierungskritiker unter beliebigen Vorwänden zum Schweigen gebracht wurden und von der Bildfläche verschwanden. Laut Hongkongs «South China Morning Post» droht dem Milliardär lebenslange Haft.
Scharfe Kritik an Wahlverschiebung
Die Festnahmen am Montag erfolgten, nachdem die USA am Freitag Sanktionen gegen Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam (63) und Politiker in Kraft gesetzt hatten, was seitens der Hongkonger Regierung auf scharfe Kritik gestossen war. Regierungschefin Lam war zuletzt wegen der umstrittenen Verschiebung der Wahl in Hongkong um ein Jahr heftig kritisiert worden. Sie bestritt politische Motive für die Verlegung der Wahl. Lam begründete dies mit dem Risiko durch das Coronavirus nach dem jüngsten Anstieg an Neuinfektionen.
Die Aussenminister der USA, Grossbritanniens, Kanadas, Neuseelands und Australiens fordern die Regierung in Hongkong dazu auf, die von ihr verschobene Wahl baldmöglichst durchzuführen. Dafür müssten auch die disqualifizierten Kandidaten wieder zugelassen werden, forderten sie am Sonntag in einer gemeinsamen Stellungnahme. Nur so könne es eine Wahl geben, die «die demokratischen Rechte und Freiheiten» der Bürger Hongkongs respektiere, hiess es.
Die jüngste Einmischung Pekings in Hongkong durch das strikte Sicherheitsgesetz sei «sehr besorgniserregend». Dadurch würden die Grundrechte und Freiheiten der Bürger Hongkongs unterhöhlt, hiess es. (kes/SDA)