Völkermord in Myanmar
Ein Anruf und die Folgen

Die Rohingyas waren in Myanmar schon lange staatenlos. Jetzt werden sie endgültig aus ihrer Heimat vertrieben. Die Flüchtlinge sind Opfer buddhistischen Furors. Und sinistrer Pläne muslimischer Geheimdienste.
Publiziert: 17.09.2017 um 22:15 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:10 Uhr
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Ihr Ruf ist beschädigt: Aung San Suu Kyi.
Foto: Reuters
Johannes von Dohnanyi

Am 23. August um 11.32 Uhr klingelte das Telefon von Hafiz Tohar, Anführer der Arakan Rohingya Salvation Army (Arsa). Sein Anrufer sagt: «Der Bericht des Schwarzen Mannes wird veröffentlicht!» 37 Minuten sprechen die beiden über die von Hafiz geplanten «multiplen Operationen» – und wurden abgehört.

Tohars Nummer war dem indischen Geheimdienst Tage zuvor gesteckt worden. Auch der Anrufer, ein gewisser Ashfaq, ist in Neu Delhi bekannt. Der Brigadegeneral koordiniert für den pakistanischen Geheimdienst ISI alle islamistischen Operationen in Bangladesch und dessen Nachbarstaaten.

Die Inder dechiffrierten den Inhalt des Telefonats: Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan – der «Schwarze Mann» – werde der Regierung von Myanmar einen Friedensplan zur Lösung der Rohingya-Krise vorlegen. Der ISI wolle dies mit Anschlägen der Befreiungsbewegung Arsa torpedieren. Die Inder warnten ihre bengalischen Kollegen. Warum nicht auch den Nachbarstaat Myanmar, früher Burma, ist unklar.

Dörfer wurden gebrandschatzt, Felder verwüstet, Fischerboote zerstört

Nur 36 Stunden nach dem Telefonat schlugen die Angreifer zu. Zeitgleich an mehreren Orten des birmanischen Teilstaats Rakhine attackierten sie Polizeiposten und Militärkasernen. Fast zwölf Stunden dauerte es, bis die Sicherheitskräfte ein gutes Dutzend der Attentäter getötet und die Lage wieder unter Kontrolle hatten.

Der teuflische Plan des ISI-Generals Ashfaq ging auf: Kaum hatte Arsa die Verantwortung übernommen, schlug Myanmars Militär mit einer der bisher grössten Vertreibungsaktionen der muslimischen Minderheit zurück.

Seit dem 25. August flohen mehr als 370 000 Rohingyas ins benachbarte Bangladesch. Ihre Dörfer wurden gebrandschatzt, Felder verwüstet, Fischerboote zerstört. Die immer noch (fast) allmächtigen Generäle Myanmars und buddhistische Extremisten scheinen entschlossen, das «Rohingya-Problem» ein für alle Mal zu lösen.

Das Verhältnis zwischen Bangladesch und Myanmar ist schwer belastet. In Dhaka, Chittagong und Cox’s Bazar demonstrieren Islamisten für einen Krieg gegen Myanmar. Al Kaida und der Islamische Staat (IS) drohen mit Anschlägen. Eine neue islamistische Front könnte die Region endgültig destabilisieren.

Myanmars faktische Regierungschefin Aung San Suu Kyi konnte – oder wollte? – dem von den Militärs angefachten Hass der national-buddhistischen Extremisten keinen Einhalt gebieten.
Der ethnisch-religiöse Konflikt schwelt seit Jahrzehnten. Nach birmanischer Lesart wanderten die rund eine Million Rohingyas erst nach der indisch-pakistanischen Teilung und dem bengalischen Unabhängigkeitskrieg vor 70 Jahren nach Myanmar ein. Die Rohingyas bezeichnen die westliche Provinz Rakhine als ihre Heimat – und sich damit als Bürger Myanmars.

Aung San Suu Kyis Einfluss endet, wo die Interessen der Militärs beginnen

Als sich das Militär vor zwei Jahren zugunsten der ersten frei gewählten Zivilregierung endlich in die Kasernen zurückzog, waren die Rohingyas guter Dinge. Schliesslich würde Suu Kyi sich nun auch für ihre Belange einsetzen. Die Hoffnung der religiösen Minderheit war nicht unberechtigt. «Wir müssen friedliche Lösungen für das Rohingya-Problem und alle anderen ethnischen Konflikte im Land finden», hatte «die Lady» schon in den 90er-Jahren zum Autor dieses Beitrags gesagt. Der hatte nachts den unbewachten Maschendrahtzaun zwischen dem Grundstück eines europäischen Diplomaten und der Villa der unter Hausarrest stehenden Oppositionsführerin überstiegen.

Heute zeigt sich: Aung San Suu Kyis Einfluss auf Myanmars Politik endet, wo die Interessen der immer noch mächtigen Militärs und der buddhistischen Nationalisten beginnen. «Ein einziger Satz von ihr hätte den Reformprozess in Myanmar insgesamt gefährdet», verteidigt der republikanische US-Senator Mitch McConnell seine langjährige politische Freundin.
Suu Kyi habe ihm immerhin versprochen, den Fliehenden rasche humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.

Zu wenig, zu spät! Viele Akteure mischen inzwischen in diesem Konflikt mit, kaum einer mit guten Absichten. Ein einziger Anruf am 23. August hat die Rohingyas endgültig zu heimatlosen Flüchtlingen gemacht – und damit zum Spielball internationaler extremistischer Interessen.

30 Millionen aus der Schweiz

Myanmar ist ein Schwerpunktland der Deza: Mit fast 30 Millionen Franken im Jahr konzentriert sich die Berner Hilfe auf den Aufbau demokratischer Strukturen, nicht zuletzt auf die Stärkung der Frauenrechte in dem südostasiatischen Land.

Die Rohingya-Krise mit ihren schweren Menschenrechtsverletzungen bedeutet eine besondere Herausforderung: Das EDA stellte bisher zwei Millionen Franken für humanitäre Flüchtlingshilfe in Bangladesch bereit. Auch die Nothilfe für die Rohingya-Provinz Rakhine wurde aufgestockt. Zudem bot die eidgenössische Diplomatie den Konfliktparteien das Beste an, was Bern zu bieten hat: ihre Dienste als Vermittler.

Myanmar ist ein Schwerpunktland der Deza: Mit fast 30 Millionen Franken im Jahr konzentriert sich die Berner Hilfe auf den Aufbau demokratischer Strukturen, nicht zuletzt auf die Stärkung der Frauenrechte in dem südostasiatischen Land.

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