Es ist brütend heiss am Flugplatz von Catania (I) – 40 Grad im Schatten! Ein weisser Audi A6 mit Aargauer Kennzeichen steht am frühen Samstagnachmittag in der prallen Sonne. Die Fenster sind dicht. Innen steigt die Temperatur, sie droht auf über 70 Grad zu steigen. Zur gleichen Zeit schiebt in der Halle der Vizechef der Flughafenpolizei, Pietro Procaccianti, seinen Dienst.
«Plötzlich rannten Leute auf mich zu. Sie riefen, es sei ein Kind im Auto», sagt der Sizilianer zu BLICK. Der Polizist zögert keine Sekunde. Er stürmt auf den Parkplatz vor dem Abflug-Terminal. «Da war dieser Bub. Er weinte. Sein Gesicht war rot und geschwollen. Er trommelte verzweifelt mit seinen kleinen Fäusten gegen die geschlossene Scheibe, schrie um Hilfe.»
Pietro Procaccianti zieht kurzentschlossen seine Pistole und schlägt mit dem Griff die hintere Scheibe ein. Der Junge klettert auf den vorderen Sitz. Der Beamte greift ins Auto, schneidet sich dabei an den Scherben die Hand. Er erinnert sich: «Ich habe keinen Schmerz gefühlt, habe nur gedacht: ‹Hol das Kind raus›!»
Applaus und Jubel für den Retter
Die Alarmanlage geht los. Pietro Procaccianti schafft es, die Zentralverriegelung zu lösen. Er öffnet die Tür, zieht den kleinen Kevin* auf seinen Armen aus der Hitzehölle. Die Menschen, die der Rettung zusehen, applaudieren und jubeln. Catania hat einen neuen Helden.
Kurz danach kommen auch die Eltern des kleinen Kevin. Procaccianti vermutet, dass Luisa T.* (28) und Lebenspartner Richard M.* (32) aus Safenwil AG vielleicht 20 Minuten fort waren. Sie wollten Geld abheben. Vielleicht waren sie auch noch etwas trinken gegangen. «Sie kamen angeschlendert, als ob nichts gewesen wäre. Sie waren überrascht, dass ich das Auto aufgebrochen und das Kind herausgeholt hatte», erzählt Procaccianti weiter. Kein Dankeschön für den Retter, keine Reue wegen der Nachlässigkeit.
Eltern werden wegen Vernachlässigung angezeigt
Auf der Flughafenwache werden die Personalien aufgenommen. Es folgt eine Anzeige wegen Vernachlässigung eines Minderjährigen. Doch die Familie darf weiterfahren und ihre Sizilien-Rundfahrt fortsetzen. Auch heim in die Schweiz dürfen sie. Das Paar erhält einen Pflichtverteidiger in Catania, der sie bei Gericht vertreten kann.
Pietro Procaccianti weiss: Er hat dem Bub möglicherweise das Leben gerettet. Er erinnert sich nur zu gut an den Fall des zweijährigen Andrea D., der 1998 über sechs Stunden lang auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Catania, bei 45 Grad Hitze, im Auto vergessen wurde. Der kleine Sizilianer verdurstete elendiglich. Er hatte am Körper Verbrennungen zweiten Grades.
Dieses Schicksal blieb Kevin dank dem Vize-Chef erspart.
* Namen geändert