Vivianne G. wurde aus der Schweiz gewiesen – ihr Kind blieb hier
Die verlorene Tochter

Das Mädchen lebt in der Schweiz – die Mutter bei Berlin. Schweizer Behörden verweigern der Frau aus Kenia eine Aufenthaltsbewilligung.
Publiziert: 06.08.2017 um 20:38 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:37 Uhr
Kurz nach der Heirat: ­Vivianne mit Peter G.  und ihrer damals wenige Wochen alten Tochter.
Foto: ZVG
Cyrill Pinto

Die Geschichte von Vivianne G.* (39) und ihrer verlorenen Tochter A.* (14) begann vor 15 Jahren. 2002 lernt die Touristin aus Kenia den Schweizer Peter G. (64) kennen, einen Grafiker aus Rapperswil SG. Sie verlieben sich – und heiraten. Bei der Hochzeit im April 2003 ist die gemeinsame Tochter erst ein paar Wochen alt.

Schon nach einem Jahr geht die Ehe in die Brüche, es folgt die Scheidung. Vivanne G. kümmert sich allein um die Tochter, arbeitet als Zimmermädchen und Putzfrau, erhält Sozialhilfe. Doch das reicht nicht. Zweimal wird sie erwischt, wie sie Lebensmittel klaut.

Einmal klingeln Polizisten wegen Kindergeschrei in der Nacht. Sie stellen fest: G. hat, um Zigaretten zu holen, eine Kollegin auf die Tochter aufpassen lassen. Die Behörden entziehen G. die Obhut, eine Beiständin der Kinderschutzbehörde ist hinfort für das Kind verantwortlich. Die Begründung des Gerichts dafür ist nicht sehr konkret. «Einen Vorfall, der dieses Vorgehen rechtfertigen würde, gab es nicht – das Kind war nicht geschädigt oder zumindest in Gefahr», kritisieren die Anwälte von Vivianne G. in Deutschland.

Man verwarnt sie ein letztes Mal

Als die Mutter im Frühling 2011 ein Geburtstagsfest für ihre Tochter feiert und sie nicht sofort wieder ins Heim zurückbringt, wird die Justiz erneut aktiv – und G. wegen Entziehung einer Unmündigen verurteilt. Man verwarnt sie ein letztes Mal: Wolle sie in der Schweiz bleiben, müsse sie Arbeit finden. Als G. sich weigert, reagieren die Behörden erneut unverzüglich: Noch auf dem Sozialamt wird die Mutter verhaftet und in Ausschaffungshaft gesetzt.

«Ich hatte das Gefühl: Egal, was ich tue, alles wird gegen mich verwendet», sagt Vivianne G. Im Januar 2012 wird sie nach Nairobi abgeschoben und mit einer vierjährigen Einreisesperre belegt. 2013 verliert sie sogar das Sorgerecht – die St. Galler Behörden begründen dies mit der grossen räumlichen Trennung zwischen Mutter und Tochter. Das Kind bleibt in einem Heim im Kanton St. Gallen, wo es bis heute lebt.

Ein Jahr lang haben Mutter und Tochter keinen Kontakt. Erst durch Vermittlung einer Hilfsorganisa­tion darf G. ihre Tochter in der Schweiz in die Arme schliessen. Bei diesem Treffen fasst sie neuen Mut: «Ich wollte meiner Tochter so nah wie möglich sein», sagt sie im Gespräch mit SonntagsBlick. G. reist nach Deutschland und stellt dort ein Asylgesuch. Seither wohnt sie in einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft.

Heute legen Bekannte immer wieder Geld zusammen, damit G. zu ihrer Tochter reisen kann. Höchstens ein bis zwei Mal pro Jahr sehen sich die beiden, zuletzt im März, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschen als mehr Kontakt.

Auch Viviannes Tochter hat sich inzwischen an die Behörden gewandt. Sie bittet darum, dass ihre Mutter in der Schweiz leben darf. Doch das von Vivianne G.s Anwalt eingereichte Gesuch um eine Aufenthaltsbewilligung lehnten die Behörden im April ab – eine Beschwerde dagegen ist hängig. G.s Anwalt in der Schweiz, Mustafa Ates (44) aus Basel, kennt viele Fälle, in denen Familien vom Ausländerrecht auseinandergerissen wurden. Wie im Fall G. entspreche dies nicht der Menschenrechtskonvention. «Und sicher nicht dem Kindeswohl», so Ates.

Vivianne G. lebt  von 500 Euro Nothilfe in ihrer Flüchtlingsunterkunft bei Berlin

Auch die Menschenrechtsgruppe Augenauf ist immer wieder damit konfrontiert, dass Behörden Ausländern mit Landesverweis drohen – selbst wenn dabei Fami­lien getrennt werden. Im Fall von Vivianne G. werteten die Behörden das in der Menschen- und Kinderrechtskonvention festgeschriebene Recht auf Familie weniger hoch als den finanziellen Schaden durch Abhängigkeit von der Sozialhilfe.

In seinen Entscheiden argumentiert das Amt: «Dieser Eingriff in das Familienleben ist zulässig, da er die Aufrechterhaltung der hiesigen Ordnung bezweckt.» Das St. Galler Migrationsamt bestätigt auf Anfrage, dass man Personen, die insgesamt mehr als 80'000 Franken Sozialhilfe bezogen haben, die Aufenthaltsbewilligung entzieht. Zum Fall G. wolle man sich nicht äussern.

Augenauf sieht die Verantwortung für das Schicksal von G. beim
St. Galler Migrationsamt. Katrin Meyer von der Menschenrechtsgruppe: «Nach der Scheidung ging es nur 18 Monate, bis die Behörden das Aufenthaltsrecht aufhoben und sie auswiesen.» Die Gründe dafür, so Meyer, waren ihre Schulden und ihre Abhängigkeit von der Sozialhilfe, das Resultat ist verheerend: «Das Mädchen wird den Behörden irgendwann die Frage stellen, wa­rum sie nicht mit ihrer Mutter zusammenleben konnte.»

Vivianne G. lebt derweil von 500 Euro Nothilfe in ihrer Flüchtlingsunterkunft bei Berlin. Im August will sie eine Ausbildung zur Schneiderin beginnen. Nach Jahren des Kampfs ist dies ihr erster Hoffnungsschimmer.

*Namen der Redaktion bekannt

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