Griechische Küstenwache setzt Flüchtlinge in Rettungsinseln auf dem offenen Meer aus
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Videos zeigen grausame Szenen:Griechen setzen Flüchtlinge manövrierunfähig auf Meer aus

Video zeigt grausame Pushback-Strategie der Küstenwache
Griechen ziehen Flüchtlinge ins offene Meer hinaus

An der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei werden Flüchtlinge auf dem Meer ausgesetzt und in Lebensgefahr gebracht. Erstmals ist das nun zweifelsfrei per Video dokumentiert.
Publiziert: 17.06.2020 um 14:13 Uhr
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Griechische Grenzer setzten Flüchtlinge auf manövrierunfähigen Rettungsinseln aus.
Foto: Aegan Boat Report
Fabienne Kinzelmann

Nur wenige Kilometer trennen Samos von der Türkei. Auf der Karte sieht es an manchen Stellen fast so aus, als würden sich die griechische Insel und das Festland berühren.

Am 13. Mai ist auf dieser beliebten Schlepperroute auch Amjad Naim unterwegs, ein palästinensischer Jurist. Sein Ziel: Europa. Naims Frau wartet in den Niederlanden auf ihn, so berichtet es der «Spiegel». Naim sitzt auf einem Schlauchboot, mindestens 26 weitere Menschen sind mit an Bord. Samos kommt immer näher.

Flüchtlinge wurden attackiert und ausgesetzt

Doch was dann passiert, ist ein Schock – nicht nur für Naim und seine Mitstreiter, sondern für ganz Europa. Ein 55 Sekunden langes Video, dass Naim aufgenommen hat, zeigt, wie die griechische Küstenwache ihn und seine Mitstreiter auf einer manövrierunfähigen Rettungsinsel zurück in türkische Gewässer zieht und aussetzt. Offenbar ohne Essen und Wasser. Zuvor hätten maskierte Männer das Schlauchboot angegriffen und zerstört.

Der «Spiegel» hat das Video und Augenzeugenberichte ausgewertet. Und kommt zu einem schockierenden Schluss: «Das Material zeigt ohne Zweifel: In der östlichen Ägäis werden europäische Werte dem Grenzschutz geopfert.»

Aktivisten dokumentieren die systematischen Menschenrechtsverletzungen an der griechischen Grenze seit Monaten. Die NGO «Aegan Boat Report» etwa veröffentlichte im Mai auch Fotos von Rettungsinseln, von denen aus die türkische Küstenwache Flüchtlinge aufnehmen musste.

Griechische Regierung setzte zeitweise Asylrecht aus

Naims Video ist nicht das erste, dass die gnadenlose Pushback-Strategie der griechischen Küstenwache dokumentiert. Doch es ist das erste, das tatsächlich zeigt, wie die Grenzer zur Rettung vorgesehenes Schutzmaterial für die Pushbacks nutzen, die Rettungsinseln in Richtung Türkei ziehen und die Flüchtlinge auf dem offenen Meer aussetzen.

Seit knapp einem Jahr ist die neue griechische Regierung unter dem liberal-konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis (52) im Amt. Und wild entschlossen, Flüchtlinge abzuhalten – offenbar um jeden Preis.

Als der türkische Präsident Recep Erdogan (66) im Februar im Streit um den Flüchtlingspakt mit der EU die Grenzen öffnen und in der Türkei festsitzende Flüchtlinge an die griechische Grenze bringen liess, liess Mitsotakis das Asylrecht zeitweise aussetzen. Sein Sicherheitsapparat reagierte mit aller Härte auf die Schutzsuchenden. Tagelang setzten die griechischen Grenzer zu Land Wasserwerfer und Tränengras ein.

Küstenwache bestreitet Vorwürfe

Und setzten auf dem Meer auf Pushbacks. Das wurde bekannt, nachdem sich ein dänisches Frontex-Boot geweigert hatte, die Anweisung zu befolgen. «Dass Menschen brutal und offen zurückgedrängt werden, ist ein Drama», sagt Bill Frelick von der Hilfsorganisation Human Rights Watch zu BLICK. «Wo bleiben da die europäischen Werte? Was ist mit den Menschenrechten, einem würdigen Empfang von Menschen und der Möglichkeit für sie, um Schutz zu bitten, und sie nicht an Orte zurückzuschicken, wo ihr Leben in Gefahr ist?»

Auf Anfrage des «Spiegel» bestreitet die griechische Küstenwache die Vorwürfe: Die Beamten würden keine Masken tragen, man halte sich an geltendes Recht. Verzögerungen bei der Rettung von Flüchtlingen? Daran sei die türkische Küstenwache schuld.

Klar ist: Beim Kräftemessen zwischen der EU und der Türkei sind die Flüchtlinge die Verlierer.

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