Am Sonntagabend versammeln sich ein paar wenige Gläubige zum Gebet in der kleinen Moschee in Port Pierce, Florida. Dort, wo der Nachtclub-Killer Omar Seddique Mateen (†29) drei bis vier mal pro Woche am Gottestdienst teilnahm – bis zum letzten mal am Freitag. Einen Tag, bevor er im Schwulen-Club «Pulse» 50 Menschen tötete und 53 weitere zum Teil schwer verletzte.
Die Anwesenden sind genau so ratlos wie der Rest der Welt, wenn es um die Frage geht: Was in aller Welt hat Mateen zu dieser Tat getrieben? Der Attentäter sei auch ihm ein Rätsel, sagt der Imam Shafeeq Rahman zur «Tampa Bay Times».
Omar Mateen, einst ein unauffälliger, aufgestellter Mann, hat sich in den letzten Jahren offenbar immer mehr aus der Welt zurückgezogen. Nach einer gescheiterten Ehe und Problemen im Job wandte sich der 29-Jährige, der einen dreijährigen Sohn zurücklässt, dem Islam zu – trotzdem war er in seinem Umfeld für seine Wutausbrüche und seine Tiraden gegen Schwule, Frauen und Schwarze berüchtigt.
Ex-Arbeitskollege: «Er sprach davon, Menschen zu töten»
Ein ehemaliger Arbeitskollege erzählt US-Medien, er habe wegen Mateen bei der Sicherheitsfirma G4S gekündigt – nachdem dieser ihn mit 20 bis 30 SMS pro Tag belästigt habe. «Der Typ war gestört und instabil. Er sprach davon, Menschen zu töten», sagt Daniel Gilroy.
Er habe sich deswegen bei der Firma mehrmals beschwert, doch die hätte nichts unternommen. Mateen habe immer wieder schwulenfeindliche und rassistische Kommentare von sich gegeben. Auch gegenüber Frauen habe er sich abschätzig geäussert. «Oh, er hasste Frauen. Für ihn waren sie Objekte», so Gilroy.
Sitora Yusufiy hat dies am eigenen Leib erfahren – sie war mit ihm verheiratet. Die gebürtige Usbekin sagt, dass sie von Mateen regelmässig verprügelt worden sei. Nach vier Monaten hätte ihre Familie sie retten müssen, ihr Ehemann habe sie als «Geisel» gehalten. «Er war psychisch krank», sagt seine Ex, «ein kranker Mensch, der durchgedreht ist».
Omar Mateen hat sich in einem Telefonat vor dem Attentat bei der Polizei zum Islamischen Staat bekannt – ob tatsächlich eine Verbindung zur Terrormiliz besteht ist unklar. Sein Vater hält es für unwahrscheinlich. «Ich glaube nicht, dass er radikalisiert wurde», sagt Seddique Mateen zum TV-Sender «ABC».
Der Hass auf Schwule sei ein mögliches Motiv, so der Vater. Sein Sohn habe sich zuletzt über einen Zwischenfall aufgeregt, als sich zwei Homosexuelle vor den Augen seiner Familie geküsst hätten. Der Vater beteuert, seinen Sohn so erzogen zu haben, andere Menschen zu akzeptieren.
Vater Seddique hatte eine TV-Sendung, in der er sich mit seinem Heimatland Afghanistan beschäftigte – darin kündigte er unter anderem an, in seiner Heimat als Präsident kandidieren zu wollen. Ein ehemaliger afghanischer Behördenvertreter sagt zu «ABC», die Show würde mit den Taliban solidarisieren. Ein ehemaliger Arbeitskollege sagt jedoch, die Sendung sei pro-amerikanisch. Bei einer Sendung, die auf Youtube hochgeladen wurde, prangt im Hintergrund ein Banner, darauf heisst es: «Lang lebe die USA! Lang lebe Afghanistan! Afghanen sind die besten Freunde der USA.»
Die dunkle Seite hat überhand genommen
Die US-Bundespolizei FBI hat den Nachtclub-Killer drei Mal wegen Terror-Verdachts vernommen. Mateen habe 2013 vor Kollegen Andeutungen gemacht, die «an eine mögliche Verbindung mit Terroristen denken liessen». Ausserdem sei gegen ihn wegen möglicher Kontakte zu einem US-Selbstmordattentäter ermittelt worden. Der Verdacht habe sich aber nicht erhärtet.
Omar Seddique Mateen scheint zwei Gesichter gehabt zu haben. Wer ihn oberflächlich kannte, sprach von einem aufgestellten, humorvollen Menschen. Wer ihn näher kannte, sprach von Wutausbrüchen und einem schlummernden Hass. Diese dunkle Seite scheint in den letzten Jahren überhand genommen zu haben.
Mateen lebte sehr zurückgezogen, verbrachte den Grossteil seiner Freizeit im Fitness-Studio und in der Moschee. Dort sei er immer nach dem Gebet gleich verschwunden, ohne mit den anderen zu reden, sagt der Imam. Ein Freund seiner Mutter bezeichnet ihn als «verlorene Seele»: «Wenn man mit ihm reden wollte, senkte er einfach den Kopf und ging weg.»
Die brutale Tat macht fassungslos.
Mateens Vater wurde von Journalisten gefragt, was er seinem Sohn sagen würde, wenn er könnte. Er antwortete mit der Frage, die uns alle beschäftigt: «Warum?» (rey)