Jahrelang blickte die Bildungsszene Richtung Norden. Gleichermassen ehrfürchtig als auch eifersüchtig wurde Finnland, seine Schüler und Lehrer beobachtet. Jahr für Jahr erzielten die Finnen Glanzleistungen in den internationalen Pisa-Studien.
Das liege an den unabhängigen Schulen, die den staatlichen Lehrplan fast gänzlich frei interpretieren dürfen, war man sich sicher. Man dachte, die Lehrer, die viel mehr fürsorgliche Coaches als strenge Antreiber sind, seien Grund für die guten Noten.
Doch der personalisierte Unterricht, das selbstständige Lernen und die Gruppenarbeiten haben alles nichts gebracht – im Gegenteil. Das behauptet zumindest eine Untersuchung von der London School of Economics. Diese zeigt, dass die Schüler nur so gut waren, weil sie so strenge Lehrer hatten!
«Nicht zum Vorteil der Leistungsfähigkeit»
«Historisch gesehen waren finnische Schulen vergleichsweise hierarchisch aufgebaute Institutionen, die eine Kultur des Gehorsams und der Autorität reflektierten, die in der finnischen Gesellschaft viel länger massgeblich war als in anderen nordeuropäischen Ländern», schreibt Studien-Autor Gabriel Heller Sahlgren gemäss «Welt.de».
Der Frontalunterricht war also an der Tagesordnung, erst in den 90er-Jahren wurde das neue System eingeführt. Zum Zeitpunkt der grossen Pisa-Erfolge zehrte Finnland «von Früchten, die lange zuvor unter ganz anderen Bedingungen gesät wurden.» Im jüngsten Pisa-Jahrgang (2012) griffen offenbar «die Reformen, die in den 90er-Jahren angestossen wurden – und sie waren nicht zum Vorteil der Leistungsfähigkeit».
Finnisches System zieht «Laisse-faire-Lehrer» an
Lilo Lätzsch, Präsidentin des Zürcher Lehrerverbands, meint, dass weniger das System, als der Lehrer «matchentscheidend» ist. «In einem Klima, das Angst und Schrecken verbreitet, lernt man aber sicher schlechter, als in einer vertrauenswürdigen und entspannten Atmosphäre».
Allerdings berge ein so offener Unterricht wie jener in Finnland die Gefahr, dass die Lehrer die Ziele aus den Augen verlieren und dass jeder Schüler machen könne, was er wolle. Zudem könne das antiautoritäre Bildungssystem eher «Laissez-faire-Lehrer» anziehen. Die Kinder bräuchten auch in einem freieren Unterricht Leitlinien.
Spass an der Schule und Topleistungen – «das Beispiel Finnland lehrt, dass beides vielleicht nicht geht», schreibt «Welt.de». Lätzsch widerspricht vehement: «Schule kann durchaus glücklich und gescheit machen.» (lex)