Vergewaltigt, geschlagen und zur Prostitution gezwungen: Das war 23 Jahre lang der Alltag von Valérie Bacot (40). Sie war zwölf, als ihr damaliger Stiefvater Daniel Polette (†61) das erste Mal über sie herfiel. Fünf Jahre sass er deswegen hinter Gittern. Als sie 17 war, kehrte er zurück.
Es kam zu weiterer Gewalt und sexuellen Übergriffen – bis er das Mädchen schwängerte. In den folgenden Jahren nahm er sie zur Frau, zeugte drei weitere Kinder mit ihr, übte physische und psychische Gewalt aus, isolierte sie von der Aussenwelt und zwang sie zum Sex mit Fremden.
Bis zum Abend des 13. März 2016. Polette zwingt Bacot wieder einmal im Familienauto zum Sex mit einem LKW-Fahrer, während er von draussen zuschaut. Der Chauffeur sei ein besonders ekliger Typ gewesen, sogar Daniel Polette selbst soll Angst vor ihm gehabt haben. Zur Sicherheit habe Bacot deswegen die Waffe von Polette im Auto deponiert.
Aus Sorge um die Tochter wehrte sich Bacot
Aus Angst davor, dass die damals 14-jährige gemeinsame Tochter ebenfalls zum Vergewaltigungs-Opfer von Polette werden könnte, wollte Bacot handeln. Die vierfache Mutter schoss ihrem langjährigen Peiniger mit einem einzigen Schuss in den Nacken. Abgefeuert aus der Pistole, mit der sonst sie selbst von ihm bedroht worden war. Die Leiche vergrub sie im Wald.
Wegen dieser Tat droht Bacot nun eine lebenslange Freiheitsstrafe. Denn im Mordprozess, der am Montag im französischen Chalon-sur-Saône startete, plädiert die Staatsanwaltschaft auf schuldig. Der Grund: Valérie Bacot habe vorsätzlich gehandelt.
«Er tat so, als sei ich ein Objekt»
Der Fall erlangt über Frankreichs Grenzen hinaus grosse mediale Aufmerksamkeit. Erst im Mai äusserte sich Bacot selbst in einem Interview mit «Le Parisien». Dort beschreibt sie ihren Horror: «Seit ich ein kleines Mädchen war, tat er so, als sei ich ein Objekt.» Der Prozess sei für sie nicht nur ihr eigener – sondern auch der ihres Peinigers Daniel Polette. Sie hofft, «ein Mal stärker zu sein wie er». Über sich selbst sagt die Angeklagte: «Ich verdiene es, für eine sehr lange Zeit ins Gefängnis zu gehen.»
650'000 Franzosen für Freispruch
Doch viele Menschen sehen das anders: In einer Petition von «Change.org» fordern über 650'000 Franzosen ihre Freiheit, ebenso ihre Anwältin Janine Bonaggiunta: «Valérie Bacot hat 25 Jahre lang extreme Gewalt erfahren. Das kann eine verzweifelte Frau zum Töten treiben, um selbst zu überleben.»
Auch die Kinder von Bacot fordern einen Freispruch für ihre Mutter und haben vor Gericht bereits entsprechend ausgesagt. Der Prozess soll noch bis am Freitag andauern. (aua)