Warum Bernie Sanders und Jeremy Corbyn so gut ankommen
Sie sind alt, sie sind links, und sie begeistern die Jungen

In den USA und Grossbritannien erobern linke Greise die etablierten Parteien. Die Jugend glaubt, sie würden die Ideale nicht verraten.
Publiziert: 13.02.2016 um 11:21 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 02:15 Uhr
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders mit seiner Frau Jane in Concord New Hampshire
Foto: AP/John Minchillo
Peter Hossli

Die Berliner Mauer ist weg, der Sozialismus zigmal für gescheitert erklärt, Karl Marx’ Werke verstauben ungelesen in Bibliotheken. Und doch begeistern auf beiden Seiten des Atlantiks alte linke Politiker junge Wähler.

Voller Energie: Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders.
Foto: REUTERS/Shannon Stapleton

Der US-Senator Bernie Sanders (74) erhielt bei den Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur in den Bundesstaaten Iowa und New Hampshire über 80 Prozent der Stimmen der unter 30-Jährigen Demokraten. Das Nachsehen hatte Hillary Clinton (68), die weit weniger links politisiert als Sanders, der von sich sagt, er sei ein «demokratischer Sozialist». Er will Marihuana legalisieren, Banken verkleinern, die Sozialhilfe ausbauen und Steuern für Reiche stark anheben. Er bekämpft den Freihandel und will die US-Truppenbestände weltweit reduzieren. Sein Ziel: 2017 als US-Präsident ins Weisse Haus einzuziehen.

Forsch unterwegs: Der 66-jährige Labour-Anführer Jeremy Corbyn besucht das Middlesbrough College in England.
Foto: Tom Banks / Imago


Das Ziel von Jeremy Corbyn (66) ist Wohnrecht an der Downing Street 10 in London, dem Sitz des Premierministers von Grossbritannien. Seit letztem September führt er die Labour Party. Er ist der Nachfolger von Ed Miliband (46), eines gemässigten Politikers. Auch Corbyn bezeichnet sich als «demokratischer Sozialist». Und wie Sanders in den USA will Corbyn in Grossbritannien die Reichen stärker besteuern. Er setzt auf die Gewerkschaften und wehrt sich gegen den Kahlschlag bei staatlichen Ausgaben.

Sanders wie Corbyn stehen am linken Rand ihrer etablierten Parteien. Beide galten lange Zeit als unwählbar, und doch gewinnen sie Wahlen – vor allem weil sie das grösste Problem der Jugend klar ansprechen: fehlende Pers­pektiven und die wachsende Kluft zwischen Superreichen und dem Rest.
Beide haben in ihrer Partei je einen Vorgänger, der den Linksdrall von heute ermöglicht hat: Bill Clinton (69) in den USA und Tony Blair (62) in Grossbritan­nien. In den 90er-Jahren galten sie als junge Hoffnungsträger: Sie sollten als Präsident und Premierminister die Amerikaner und die Briten aus der Rea­gan- und Thatcher-Ära führen.

Stattdessen enttäuschten Clinton und Blair eine ganze Generation. Und traten erst noch zwei der heute grössten Probleme los. Clinton liberalisierte im Jahr 2000 die Banken. Das befeuerte den Turbo-Kapitalismus – und mündete in die Finanz­krise. Blair verbündete sich 2003 mit George W. Bush (69) und startete mit ihm den Irakkrieg. Dessen Folgen? Der Krieg in Syrien und die Flüchtlingskrise.

Nun glaubt mancher junge Wähler, Sanders und Corbyn seien bereits alt genug, damit sie linke Ideale nicht verrieten.

Den theoretischen Unterbau der neuen Protestbewegung lieferte ebenfalls ein Greis. Mit 93 Jahren veröffentlichte der Franzose Stéphane Hessel 2010 den Essay «Empört euch!». Heftig kritisierte der einstige Widerstandskämpfer und frühere Dip­lomat darin die politische Entwicklung und die wachsende Macht der Konzerne. Ein Jahr später legte er das Manifest «Engagiert euch!» nach. 2013 starb Hessel. Er lebt in Protestbewegungen weiter, die sich nun auf ihn berufen. So wie Sanders und Corbyn.

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