USA-Expertin Claudia Franziska Brühwiler hält sich gerade im US-Bundesstaat Wisconsin auf, wo vergangene Woche der Parteikonvent der Republikanischen Partei stattgefunden hatte. Blick stellt ihr am Telefon die drängendsten Fragen zum Rückzug von Präsident Joe Biden.
Blick: Claudia Brühwiler, wieso ist es jetzt zum Rückzug Bidens gekommen?
Claudia Franziska Brühwiler: Mittlerweile war der Druck auf Joe Biden zu gross geworden. Gerade auch die Atempause durch seine Covid-Erkrankung hat Gerüchten Auftrieb gegeben, dass der Rückzug bereits dieses Wochenende geschehen könnte. Insofern ist das nicht besonders überraschend. Überraschend ist es vielleicht, dass es schon vor dem eigentlichen «Roll-Call-Vote» der Partei geschehen ist. Man muss es ungeschönt sagen, die Partei hat ihn letztlich fallengelassen. Dass der Rückzug bereits jetzt erfolgt ist, muss daran liegen, dass er den Eindruck gehabt hat, dass er keine Chance mehr hat, dass ihm der Rückhalt in der Partei fehlt und auch sein persönliches Umfeld das nun erkannt hat.
Hat es so etwas in der US-Geschichte schon einmal gegeben?
Diese Konstellation scheint mir einzigartig, weil wir es hier mit einem Incumbent, also einem Amtsinhaber, zu tun haben, der eigentlich bereits die ganzen Vorwahlen durchlaufen hat, die klare Mehrheit der Delegiertenstimmen auf sich vereint und es nur noch diesen Pro-Forma-Schritt gebraucht hätte, dass eben die Delegierten ihre Stimme abgeben. Das macht es schon einmal einzigartig. Wenn wir zurückdenken an einen anderen Präsidenten, der zuerst fest im Sattel schien und dann auf eine Wiederwahl verzichten musste, dann war das Lyndon B. Johnson bei den Demokraten, der 1968 auf einen Wiederwahlversuch verzichtete, weil er sah, dass er aufgrund der politischen Konstellation keine Chance hatte. Aber er hatte diesen ganzen Vorwahlzirkus nicht bereits durchgemacht und auch nicht auf einen unglaublichen medialen und politischen, also parteiinternen Druck hin reagiert.
Wer wird nun übernehmen?
Kamala Harris scheint die logische Konsequenz zu sein – ihre Kandidatur ist praktisch unausweichlich. Und das haben schon im Vorfeld viele Personen gesagt, die sich mit diesen ganzen Finessen der Wahlkampffinanzierung und Wahlkampforganisation auskennen. Es wäre sonst kaum möglich, eine erfolgsversprechende Kampagnenmaschinerie aufzustellen.
Wie sind ihre Chancen gegen Trump?
Ihre Chancen gegen einen Donald Trump muss man gerade im jetzigen Moment noch sehr nüchtern einschätzen. Wir hatten bisher nicht diese Konstellation, dass man sie wirklich als Kandidatin anschaut. Jetzt schon auf irgendwelche Umfragewerte zu schielen, wäre also verfrüht. Was man allerdings sagen muss, ist, sie hatte 2020 nicht den besten Eindruck hinterlassen als Kandidatin für die Präsidentschaft. Sie gilt auch als umstrittene Person. Den einen ist sie zu progressiv, den anderen zu wenig progressiv. Aber das heisst nicht, dass sie jetzt nicht ein anderes Narrativ stricken kann, um wieder Auftrieb zu finden. Viele linke Wähler, die etwas enttäuscht waren von Joe Biden, finden nun vielleicht wieder Hoffnung – je nachdem, wen sie als Running Mate nimmt.
Ist die Wahl damit praktisch gelaufen?
Nein. Jetzt steht das Momentum aufseiten der Republikaner. Sie hatten eine gigantische Party anlässlich ihres Parteikonvents, der die Partei in einem äusserst geeinten Zustand zeigte, wie man das in den vergangenen Jahren nicht kannte. Es gab kaum Unkenrufe. Die Anti-Trump-Front ist verstummt. Entsprechend gab das ein sehr starkes Bild ab, während die Demokratische Partei in den vergangenen Wochen einfach nur noch im Überlebensmodus und im inneren Zerfleischungsmodus unterwegs war. Bis November ist es aber noch lange, und bis dahin kann man auch eine andere Geschichte und ein anderes Bild der demokratischen Partei zeichnen. Die Frage ist allerdings, ob die Demokraten willens und in der Lage sind, die wirklich zentralen Themen aufzunehmen, die ihre klassischen Wähler früher beschäftigten. Und das ist in den USA im Moment wirklich das Preisniveau und die Migrationsfrage. Bislang war der demokratische Wahlkampf sehr darauf ausgerichtet, ein Anti-Trump-Wahlkampf zu sein. Und das wird kaum reichen im November.