Zwei Kontrahenten, drei Themenkomplexe, 90 Minuten volle Aufmerksamkeit: Das erste TV-Duell der US-Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Donald Trump heute Nacht war der Höhepunkt eines Wahlkampfs, der bereits in den vergangenen Monaten alle bisherigen Rennen um das amerikanische Präsidentenamt den Schatten zu stellen vermochte. Knapp drei Viertel der erwachsenen Amerikaner gaben in einer Befragung im Vorfeld an, die auf allen grossen Sendern übertragene Debatte verfolgen zu wollen. Und das erwartungsvolle Millionenpublikum wurde nicht enttäuscht.
Doch wie viel Wahrheit steckt hinter den Aussagen, mit denen die ehemalige Aussenministerin und der Immobilienmogul in der aufgeheizten Debatte von sich zu überzeugen versuchten? Zahlreiche US-Journalisten hörten ganz genau hin und unterzogen die Aussagen der Kandidaten detaillierten Fakten-Checks. Die Ergebnisse sind eindeutig: Während es beide heute Nacht nicht immer so genau mit der Wahrheit nahmen, war Trump im Vergleich zu Clinton doch deutlich flexibler, was den Umgang mit Fakten anbelangte.
Streit um Aussagen zum Irakkrieg
Die grösste Lüge tischte Trump in Bezug auf seine Haltung gegenüber des US-Einmarsches in den Irak im Jahr 2003 auf. «Ich habe den Krieg im Irak nicht unterstützt», beteuerte Trump. Als Moderator Lester Holt daraufhin einwarf, dass Aufnahmen das Gegenteil beweisten, fiel der Republikaner ihm ungehalten ins Wort – obwohl die Aussage bereits in der Vergangenheit eindeutig als unwahr identifiziert worden war. So hat Trump erst nach dem Einmarsch der Amerikaner – als die öffentliche Meinung kippte – Zweifel am Einsatz geäussert. In einem Radio-Interview 2002 hatte er hingegen auf die Frage, ob er eine Invasion in den Irak unterstützen würde, noch gesagt: «Ja, ich denke schon.»
Zudem bestritt Trump in der TV-Debatte vehement Clintons Vorwurf, den Klimawandel öffentlich als Schwindel bezeichnet zu haben. Die Nachrichtenagentur AP widerlegt diese Aussage mit einem Tweet, den Trump 2012 veröffentlicht hatte. In diesem beschuldigte er China, die Klimaerwärmung erfunden zu haben, «um die US-Industrie wettbewerbsunfähig zu machen». Ein Scherz, wie er später – aus Sicht seiner Gegner wenig überzeugend – meinte.
In die Nesseln setzte sich Trump auch mit der Aussage, Clinton kämpfe schon ihr «ganzes Erwachsenenleben» gegen die Terrormiliz IS. So wurde diese erst vor drei Jahren offiziell gegründet – zu einem Zeitpunkt, zu dem Clinton nicht einmal mehr Aussenministerin war.
Nicht nur Trump nahms nicht immer so genau
Aber auch Clinton neigte in der 90-Minuten-Debatte zu Über- und Untertreibungen, Schönfärberei und Halbwahrheiten. Angesichts Trumps Aussagen sähen diese Falschaussagen allerdings blass aus, meint die «Washington Post».
So beschuldigte Clinton ihren Kontrahenten Trump, den russischen Präsidenten Wladimir Putin «öffentlich eingeladen» zu haben, amerikanische Computer zu hacken. Ist die Behauptung zwar nicht komplett aus der Luft gegriffen, halten die Fakten-Checker dennoch fest, dass Trump dies so zumindest nie explizit gesagt hat.
Clinton klare Siegerin des Duells
Doch Unwahrheiten und Verdrehungen hin oder her: Für die meisten Amerikaner scheinen die Meinungen sowieso schon gemacht. In einer Umfrage von ABC News und Washington Post gaben acht von zehn Befragten im Vorfeld der historischen Debatte an, dass das TV-Duell sie nicht mehr werde umstimmen können.
Befragt kurz nach der TV-Debatte, nannten bei einer CNN-Umfrage derweil 62 Prozent die Demokratin Clinton als Siegerin der Debatte – und nur 27 Prozent Donald Trump. Dabei ist allerdings zu beachten, dass auch deutlich mehr demokratische als republikanische Wähler an der telefonisch geführten Umfrage teilnahmen. Ihr zufolge konnte Clinton als ehemalige US-Aussenministerin besonders im Bereich Aussenpolitik punkten. In Bezug auf Wirtschaftsfragen liegt sie hingegen praktisch gleichauf mit Trump.
Doch dieser scheint sich so oder so nicht sonderlich um das Umfrage-Ergebnis zu scheren. Auf Twitter verweist der Republikaner lieber auf eine andere Post-Poll, deren Resultate ihm deutlich gelegener kommen. So küren bei der Online-Umfrage von «Drudge Report» heute Morgen knapp 90 Prozent der Befragten Trump zum Sieger des Wortgefechts. Bei der Website handelt es sich um ein konservatives, klar zum Pro-Lager Trumps zählendes Nachrichtenportal. (lha)