Fernsehen ist ein brutales Medium. Was jemand sagt, ist oft zweitrangig. Es zählt, wie man es sagt. Wegen dieser gnadenlosen Formel verlor US-Präsident Joe Biden (81) diese Woche das TV-Duell gegen seinen Vorgänger Donald Trump (78).
Die Entscheidung war gefallen, bevor Biden überhaupt etwas sagte. Wie ein verwirrter Opa schlurfte der Präsident ins Studio, während sein Gegner hereinstolzierte.
Endgültig war es um ihn geschehen, als er zu reden anfing. Er schwächelte, stotterte, begann Sätze irgendwo und brach sie irgendwie wieder ab. Unterwegs verschluckte er Worte, weil er zu schnell sprach. Er bewegte sich träge und langsam. Greisenhaft starrte er mit offenem Mund ins Leere.
Wer ihn sah, empfand ein Gefühl, das niemand will, der Stärke ausstrahlen soll: Mitleid.
Das Fazit am Morgen danach war einhellig. Biden habe nicht einmal die geringsten Erwartungen erfüllt. Das Wort «Desaster» machte die Runde. Ex-Präsident Barack Obama (62) müsse ihn zum Rückzug bewegen. «Bei den Demokraten bricht Panik aus», postete Maria Shriver (68) vom Kennedy-Clan über die Partei des Präsidenten. «Joe Biden ist ein guter Mann und ein guter Präsident», schrieb «New York Times»-Kolumnist Thomas Friedman (70). «Er muss sich aus dieser Wahl zurückziehen.»
Noch wäre es möglich, ihn zu ersetzen. Amerika wählt erst am 5. November, die Demokraten küren ihren Kandidaten offiziell Mitte August auf dem Parteitag in Chicago. Schon jetzt kursieren Namen als mögliche Alternativen: Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom (56), seine Amtskollegin Gretchen Whitmer (52) aus Michigan oder Verkehrsminister Pete Buttigieg (42).
Das wären alles fähige Leute. Aber wahrscheinlich wird niemand von ihnen den Hut in den Ring werfen. Stattdessen dürften sie die Wahlen 2028 ins Visier nehmen. Dann kann Trump nicht mehr antreten. Und sie wissen: Dieses Jahr ist der Ex-Präsident und Ex-Talkshow-Moderator wohl nur zu schlagen, wenn er ins Gefängnis muss.
Biertrinkerinnen, nicht Matcha-Latte-Schlürfer entscheiden die Wahl
Weil sich die Partei Bidens hauptsächlich um die Eliten an der Ost- und der Westküste zu kümmern scheint. Und weil Trump mit seinen Aussagen und seinem Gebaren die Menschen erreicht, die diese Wahlen entscheiden. Das sind Biertrinkerinnen und nicht Matcha-Latte-Schlürfer.
Waren die Demokraten unter Präsident Bill Clinton (77) einst eine zentristische Partei, führte Präsident Obama sie weit nach links, nach Hollywood und zu den Milliardären im Silicon Valley. Wo eine Wahl heisst: Pilates oder Yoga?
Biden gelang es nicht, den radikalen Flügel seiner Partei zu bremsen und Themen dort zu setzen, wo er selbst stehen würde: in der vernünftigen Mitte.
Zudem unterschätzen die Medien seit nunmehr zehn Jahren den politischen Instinkt Trumps. Trotz seiner privilegierten Herkunft versteht der New Yorker, was Amerika im Landesinneren bewegt. Also dort, wo diese Wahl entschieden wird, in den sogenannten Swing States. Trump spricht das aus, was die Menschen hören wollen. Und zwar in einer Sprache, die sie verstehen.
Bei aller berechtigten Kritik an Bidens Auftritt im TV-Duell wird unterschlagen, wie wirkungsvoll Trump war. Ruhiger als sonst, gleichzeitig konzentriert und stimmgewaltig. Er hielt sich an die Regeln, respektierte die Moderatoren – und wusste genau, was sein Publikum hören wollte.
Dass Biden die Steuern erhöhen, er sie senken werde. Dass er die Kriege schnell beenden könne. Und dass es Amerika schlecht gehe. Unter ihm hätte Putin die Ukraine nicht angegriffen und der Iran seine Stellvertreter – Hamas, Hisbollah, Huthi – nicht auf Israel gehetzt.
Was antwortete Biden? «Trump hat keine Ideen.» Mehr kam von ihm nicht.
Für seine Anhänger spricht Trump unbequeme Wahrheiten an
Was den Komiker Bill Maher (68) zu einem bissigen Witz veranlasste: «Trump hat eine Lüge nach der anderen erzählt. Er wäre nie damit durchgekommen, wenn Joe Biden in der Debatte dabei gewesen wäre.»
Tatsächlich hat Trump im Fernsehen Dutzende von Lügen verbreitet. Was Biden kaum bemerkte, Faktenprüfer aber noch am selben Abend verdienstvoll feststellten. Zumal die Wahrheit ein Grundpfeiler jeder Demokratie ist.
Doch die Menschen, die Trump wählen, sehen in ihrem Idol keinen Lügner, sondern einen, der unbequeme Wahrheiten ausspricht, während andere Politiker sie unter den Teppich kehren.
Zerreiben sich Kommentatoren an Trumps clownesker Fassade, blicken seine Wähler durch das rüpelhafte Gehabe hindurch. Viel mehr stören sie die stark gestiegenen Preise im Supermarkt oder an der Zapfsäule. Sie merken, dass heute in der Ukraine und im Nahen Osten Kriege toben, während es unter Trump friedlich war. Dass in demokratisch regierten US-Bundesstaaten und Städten die Polizei trotz steigender Kriminalität an Mitteln verliert.
Politikwissenschaftler weisen zu Recht darauf hin, dass ein Präsident allein weder Lorbeeren noch Kritik für Erfolge oder Misserfolge verdient. Aber indem Trump unangenehme Dinge anspricht, zeigt er Mitgefühl für echte Sorgen.
Starrsinnigkeit nimmt im Alter zu
Am deutlichsten bei der illegalen Einwanderung in die USA. Seit Jahren wettert Trump dagegen, jetzt erneut im TV-Duell. Immer wieder reisen er oder andere Republikaner an die südliche Grenze. Biden und die Demokraten aber haben lange weggeschaut. Obwohl Umfragen zeigen: Viele Amerikanerinnen und Amerikaner fürchten sich vor nichts mehr als unkontrollierter Immigration. Selbst Schwarze und Latinos laufen deshalb zu Trump über.
Er werde weltweit von einflussreichen Politikern respektiert, betonte Trump im TV-Duell. Bei Biden sei das nicht der Fall. Die Debatte lieferte kaum Argumente gegen diese These. Oder um es mit den Worten der «Wall Street Journal»-Kolumnistin Peggy Noonan (73) zu sagen: «So kann es nicht weitergehen. Ihn [Biden] weitermachen zu lassen, sieht aus, als würde man alte Menschen missbrauchen.»
Joe Biden scheint das nicht zu stören. Er stieg schon am Freitag wieder auf eine Bühne und sagte, er debattiere zwar nicht mehr so gut wie früher und gehe nicht mehr so leichtfüssig. Aber er sage die Wahrheit. Rückzug? Auf keinen Fall! «Ich will diese Wahl gewinnen.»
Als wolle er ein Klischee bestätigen, das jede Familie kennt: Sturheit nimmt im Alter zu.