Für Historiker Heinrich August Winkler ist Trumps Vereidigung eine Zeitenwende
«Das amerikanische Jahrhundert ist zu Ende»

Publiziert: 22.01.2017 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:18 Uhr
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Der neue US-Präsident setzt sich auch am Freiheitsball kämpferisch in Szene.
Foto: Imago
Interview: Hannes Britschgi

SonntagsBlick: Donald Trumps Antrittsrede war harte Kost.
Heinrich August Winkler:
Die Rede war ein erschreckendes Manifest der nationalen Egozentrik, des wirtschaftlichen Protektionismus, der sozialen Demagogie und notorischen Selbstüberschätzung. Kein Wort zur inneren Versöhnung des tief gespaltenen Landes, zur weltpolitischen Verantwortung der USA, zur Solidarität mit den Verbündeten und Freunden der Freiheit in aller Welt, kein Bekenntnis zu den Menschenrechten, in deren Zeichen die Vereinigten Staaten 1776 gegründet wurden. Eine derart trostlose Antrittsrede eines amerikanischen Präsidenten hat die Welt noch nie erlebt. Das «amerikanische Jahrhundert»: Am 20. Januar 2017 ist es wohl endgültig zu Ende gegangen.

Amerika nimmt sich schon länger als Führungsmacht des Westens zurück.
Eine Abkehr von den gemeinsamen Werten des transatlantischen Westens, wie man sie von Trump befürchten muss, wäre  eine tiefe historische Zäsur und würde uns mit einer bislang fast undenkbaren Tatsache konfrontieren: Amerika verabschiedet sich von seiner weltpolitischen Verantwortung.

Deshalb sehen einige die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als neue Führungsfigur des Westens in der Pflicht.
Es wäre ein Akt deutschen Grössenwahns, dem eigenen Land die Rolle eines Ersatzamerikas zuzuschreiben. Die USA sind unersetzlich. Allerdings steht Trump nur sehr bedingt für die USA. Er hat ja nicht einmal eine Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler hinter sich.

Hat er ein Legitimationsdefizit?
Es ist ein Defizit des amerikanischen Verfassungssystems, dass so etwas möglich ist. Noch nie war der Widerstand gegen einen President-elect so massiv, wie wir das dieser Tage erlebt haben. Trump wird auch nicht immer die Mehrheit des Kongresses hinter sich haben. Im Senat, wo die Mehrheit der Republikaner ganz prekär ist, sind mehrere republikanische Senatoren schärfste Kritiker von Trump – vor allem mit Blick auf seine putinfreundliche Politik.

Trump stösst also rasch an die Grenzen seiner Macht?
Wer sagt denn, dass er vier Jahre lang im Amt bleiben wird? Ihm hängen noch so viele Skandale nach und auch nicht abgeschlossene Gerichtsverfahren. Es ist durchaus denkbar, dass er von seiner Vergangenheit eingeholt wird oder dass er den amerikanischen Verfassungskonsens dermassen herausfordert, dass ein Amtsenthebungsverfahren die Folge ist. Ich will nicht spekulieren, aber möglich ist es.

Wunschdenken der Elite.
Ja, natürlich. Aber mit dieser Möglichkeit muss – wie in keiner anderen Präsidentschaft – gerechnet werden.

Grenzen zu, Mauer hoch, illegale Einwanderer raus, Folterverbot nicht unbedingt.
Wenn ein amerikanischer Präsident so deutlich wie Donald Trump zu erkennen gibt, dass er sich den fundamentalen Werten der Vereinigten Staaten nicht verbunden fühlt, dann können wir von einer westlichen Wertegemeinschaft nicht mehr sprechen.

Wie steht es um diese Werte in der Migrationsfrage?
Man kann die Auswanderung als ein Menschenrecht bezeichnen, aber es gibt kein Menschenrecht auf Einwanderung. Keine westliche Demokratie kann die Prob-leme der Dritten Welt auf ihrem Territorium lösen – weder die Vereinigten Staaten noch die europäischen Demokratien. Das ist ein Thema, dem sich auch Deutschland verstärkt widmen muss. Wir müssen den politisch Verfolgten und Bürgerkriegsflüchtlingen nach besten Kräften helfen, dürfen aber nicht den Eindruck erwecken, alle Mühseligen und Beladenen dieser Welt könnten nach Deutschland kommen und hätten in diesem Land eine Zukunft.

Merkels grosser Fehler?
Es war richtig, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge in Deutschland oder Österreich aufzunehmen. Ein Fehler war der Alleingang von Berlin und Wien. Und es war falsch, den Ausnahmecharakter dieser Entscheidung nicht stärker zu betonen.

Merkels Akt der Menschlichkeit hat viele inspiriert.
Die spontane Hilfe der Deutschen bleibt eine ganz grosse Leistung der Zivilgesellschaft. Die falschen Töne kamen aus der Politik, von Intellektuellen und manchmal auch von den Kirchen. Ich denke etwa an die Behauptung einer prominenten Grünen, heute seien wir die Weltmeister der Menschenliebe und der Hilfsbereitschaft. Das bezeichne ich als moralische Selbstüberhöhung.

Gerade wegen der Migration stimmten die Briten mehrheitlich für den Brexit. Diese Woche hat die britische Premierministerin May eine knallharte Brexit-Umsetzung angekündigt.
Theresa May spielt ein äusserst riskantes Spiel. Der «harte Brexit» ist zunächst einmal ein Schlagwort, das die Brexiteers beruhigen soll. Tatsächlich appelliert sie an die EU, Grossbritannien alle Vorteile eines privilegierenden Freihandelsvertrags zu gewähren, ohne dass das Vereinigte Königreich der EU in Fragen der Freizügigkeit entgegenkommen müsste. Damit wird Theresa May nicht durchdringen. Die EU darf nicht den Eindruck erwecken, dass andere Mitgliedstaaten der Union sich ohne grosse Nachteile ebenfalls von der EU verabschieden könnten.

Trump hat May sofort Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen angeboten.
Leeres Gerede. Trump müsste wissen, dass er mit Grossbritannien so lange keine Handelsverträge abschliessen kann, als Grossbritannien noch Mitglied der EU ist.

Die Schweiz würde sich gerne für ein Freihandelsabkommen mit den USA hinter den Briten in die Reihe stellen.
Das ist ein weiterer Hinweis da­rauf, dass es sich die EU gar nicht leisten kann, den mit Grossbritannien abzuschliessenden Vertrag so attraktiv zu gestalten, dass andere versucht sein könnten, dem Beispiel zu folgen.

Brexit, Flüchtlinge, Eurokrise, Rechtspopulisten – wie kann sich die EU reformieren?
Ein Weiter-so kann es für die EU nicht geben. Es war ein Fehler, dass – nicht zuletzt in Deutschland – immer wieder Parolen ausgegeben wurden, die so klangen, als gehe es darum, die Nationalstaaten durch immer mehr europäische Integration zu überwinden. Die Menschen sehen im Na­tionalstaat eine Einrichtung, die ihre Rechte schützt. Deswegen sind sie nicht bereit, den Nationalstaat zugunsten von Europa aufzugeben. Man kann Europa nicht gegen die Nationen aufbauen, sondern nur mit ihnen und durch sie. Wir brauchen eine vertiefte Zusammenarbeit der liberalen Demokratien in Europa und Strukturreformen zur Festigung der Währungsunion. Vieles, ja fast alles hängt deswegen vom Ausgang der Präsidentenwahl in Frankreich im Mai ab. Mein Wunschkandidat wäre der entschiedene Reformer Emmanuel Macron.

Die Migrationsfrage macht die Nationalpopulisten erfolgreich.
Diese sind soziologisch eine Al­lianz von konservativen Wutbürgern und frustrierten Arbeitern. Diese Allianz profitiert von den Blössen, die die etablierten demokratischen Parteien sich geben. Durch eine kluge Politik können die Letzteren den Nationalisten den Donner stehlen, und das sollten sie tun. 

Persönlich

Heinrich August Winkler (78) ist einer der bedeutendsten Historiker. Der emeritierte Professor für neuste Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin hat zur deutschen Geschichte das Standardwerk «Der lange Weg nach Westen» und in den letzten Jahren die vier dicken Bände zur «Geschichte des Westens». geschrieben. Er prägt viele der aktuellen Debatten.

Heinrich August Winkler (78).
Heinrich August Winkler (78).

Heinrich August Winkler (78) ist einer der bedeutendsten Historiker. Der emeritierte Professor für neuste Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin hat zur deutschen Geschichte das Standardwerk «Der lange Weg nach Westen» und in den letzten Jahren die vier dicken Bände zur «Geschichte des Westens». geschrieben. Er prägt viele der aktuellen Debatten.

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