Der Schweizer Botschafter in Washington zu den US-Wahlen
«Polarisierung macht mir Sorgen»

Botschafter Martin Dahinden bereitet sich mit seinem Team sowohl auf Hillary Clinton als auch auf Donald Trump im Weissen Haus vor.
Publiziert: 06.11.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 14:16 Uhr
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Martin Dahinden auf der Terrasse der Schweizer Botschaft in Washington.
Foto: Stefan Falke
Interview: Peter Hossli Fotos: Stefan Falke

SonntagsBlick: Herr Botschafter Dahinden, wer wird neuer Präsident der USA?
Martin Dahinden: Es ist eine spannende Wahl, eine Prognose wage ich nicht.

Warum nicht?
Das ist nicht meine Aufgabe. Die Wahlen verfolge ich für die Schweizer Regierung, nicht für die Öffentlichkeit.

Sie sind ein politischer Mensch. Wie schwierig ist es, sich da nicht öffentlich zu äussern?
Das gehört zu meinem Job. Weder ich, meine Kollegen in Bern noch die Bundesräte reden über Kandidaten oder ihre Aussagen.

Aber Sie werden das Ergebnis kommentieren?
Nicht öffentlich.

Warum? Die ganze Welt redet darüber!
Wir wollen langfristig gute Beziehungen haben zu den USA. Da ist es unmöglich, in einer innenpolitischen Auseinandersetzung Partei zu ergreifen.

Ein Kandidat – Donald Trump – wird als Gefahr für die Welt angesehen. Ist es da nicht wichtig, etwas zu sagen?
Das wäre falsch. Wir anerkennen das politische System der USA. Daher werden wir mit der Person im Weissen Haus arbeiten, welche die Amerikaner am 8. November wählen. Das gilt auch für die Mitglieder des Kongresses.

Was berichten Sie nach Bern über die Wahlen?
Mich erstaunt die grosse Polarisierung. Sie ist neu, und sie bereitet mir Sorgen. Früher wirkten US-Politiker mehr über Parteigrenzen hinweg.

Wie nervös sind die diplomatischen Kreise in Washington?
Je nach Land ist der Fokus anders. Kollegen in Osteuropa und im Nahen Osten beobachten sehr aufmerksam, wie sich die amerikanische Aussenpolitik verändern könnte, wenn Hillary Clinton oder Donald Trump gewinnt.

Osteuropäer fürchten eine Achse Trump-Putin?
Das müssen Sie die Vertreter dieser Staaten fragen.

Gibt es Diplomaten, die klar Clinton oder klar Trump bevorzugen?
Nein, das macht niemand. Alle wissen, am Schluss müssen sie mit dem Gewinner zusammenarbeiten. Keiner will sich ins Abseits stellen.

Wie sieht das Wahlbarometer an diplomatischen Cocktailpartys zwei Tage vor der Wahl aus?
Eine einheitliche Meinung gibt es nicht. Wir wissen das, was die Medien berichten. Nur die Kandidaten selber verfügen über aufwendig erhobene und somit genauere Analysen.

Wie erleben Sie den Wahlkampf?
Als zuweilen feindschaftlich. Inhaltliche Themen spielen eine geringe Rolle. Es geht fast nur um Personen. Für meinen Geschmack kommt der Wettbewerb der Ideen zu kurz.

Wie intensiv verfolgen Sie den Wahlkampf?
Das Umfeld der Kandidaten beobachten wir genau. Zumal wir ja wissen, dass es einen grossen personellen Wechsel geben wird. In der Diplomatie sind Beziehungsnetze zentral. Unser Team stellt sich gerade darauf ein, neue zu knüpfen.

Sie wappnen sich für beide Seiten?
Ja, aber die intensive Phase kommt nach der Wahl. Dann erst klärt sich, wer die Posten in der Verwaltung belegen wird, die für uns wichtig sind.

Wo verbringen Sie den Wahlabend?
In der Botschaft, mit einer Kerngruppe, die alle Ergebnisse analysieren wird – die fürs Weisse Haus und die für den Kongress. Laufend berichten wir nach Bern.

Vielleicht entscheidet Clintons privater E-Mail-Server die Wahl. Haben Sie ein privates E-Mail-Konto?
Ja, als Martin Dahinden.

Wickeln Sie geschäftliche Mails darüber ab?
Geschäftliche Mails laufen über das EDA (Eidgenössisches Departement des Äussern – Red.), private über das private Konto.

Clintons Konto ist gehackt worden. Wie sicher ist Ihre Kommunikation?
Bei heiklen Inhalten haben wir hochkomplexe, verschlüsselte Geräte. Sie stehen weltweit in unseren Botschaften im Einsatz, hier in Washington unter anderem für unsere Aufgabe im Iran. Das ist sehr sicher.

Und normale Mails?
Wir sind uns im Klaren darüber, dass sie von Nachrichtendiensten gehackt werden können.

Mit dieser Wahl neigt sich die Amtszeit von Präsident Barack Obama dem Ende zu. Aus Schweizer Sicht keine gute Zeit.
Das sehe ich nicht so. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA sind sehr gut, gerade im wirtschaftlichen Bereich. Wir hatten noch nie einen grossen Konflikt.

Unter Obama wurde das Schweizer Bankgeheimnis zerstört.
Sie müssen die Geschichte richtig erzählen. Die Vorstellung, dass es die Regierung von Obama auf den Schweizer Finanzplatz abgesehen hat, ist falsch.

Aber das Ende des Bankgeheimnisses schadet der Schweiz.
Durch die Finanzkrise von 2008/09 wurde der Kampf gegen die Steuerhinterziehung in den USA zu einem Hauptthema.

Worauf Schweizer Banken ins Visier gerieten.
Wer sich die Bussen anschaut, merkt: 75 Prozent davon wurden gegen US-Institute verhängt. Weniger als fünf Prozent der Bussen betrafen Schweizer Banken.

Die Schweiz änderte unter dem Druck der USA nationale Gesetze.
Es sind Anpassungen, die auf internationaler Ebene erfolgten. Die Schweiz akzeptiert diese neuen Standards. Wir drängen darauf, dass das alle tun.

Erfolglos hat die Schweiz versucht, ein Freihandelsabkommen mit den USA zu schliessen. Ist es endgültig vom Tisch?
Wir verfolgen die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA sehr eng. Sind sie abgeschlossen, prüfen wir, was das für uns bedeutet.

Ist es nicht eine gefährliche Strategie, abzuwarten, was andere machen? Am Schluss hat die EU ein Freihandelsabkommen – und die Schweiz muss sich danach richten.
Das sehe ich persönlich anders. Mit Ausnahme der Landwirtschaft kann ich mir keine Inhalte vorstellen, die für die Schweiz problematisch sein könnten.

Die Schweiz ist Gastgeberin der Syrien-Friedensverhandlungen. Schätzen die Amerikaner das?
Sogar sehr. Im Juli hat mir US-Aussenminister John Kerry persönlich dafür gedankt und gesagt, er gehe immer gerne nach Genf. Als die Schweiz eine Rolle spielte bei der Freilassung amerikanischer Geiseln im Iran, sind wir mit Dankesbezeugungen überschwemmt worden. Politisch interessierte Amerikaner wissen genau, was wir tun.

Die Schweiz selbst hat nichts davon!
Oh doch, sehr viel sogar. Oft wird unterschätzt, wie wichtig das Image eines Landes ist. Wir geniessen ein hohes Ansehen in den USA. Man hält uns für kompetent. Enorm viel bringt zudem das internationale Genf.

Was in der Schweiz aber kaum wahrgenommen wird.
Unserem Image müssen wir Sorge tragen. Noch finden in der Schweiz viele internationale Konferenzen statt, die andere Länder gern ausrichten würden. Während des Kalten Kriegs galt die Schweiz als einziger Treffpunkt für politisch wichtige Gespräche. Aber der Kalte Krieg ist vorbei.

Martin Dahinden (61) ist seit Oktober 2014 Schweizer Botschafter in Washington. Zuvor leitete er die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Seit über 20 Jahren steht der Betriebswirtschafter im Dienste des EDA.

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