Fassungslos, erwartungsvoll, angewidert – jedenfalls gebannt schaut heute ein grosser Teil der Welt nach Washington. Das vor kurzem noch Undenkbare geschieht also: Donald Trump wird als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Der Mann, der so viel Hass gesät und Häme geerntet hat, wird auf das Buch schwören, das Nächstenliebe predigt. Zusätzlich zur Lincoln-Bibel aus dem Jahr 1853 nimmt er das Familienexemplar mit. Ab heute ist Trump nicht mehr der reichste Rüpel der USA, sondern der mächtigste Mann der Welt.
Wie anders war die Stimmung vor acht Jahren! Auch damals war das fast Undenkbare Tatsache geworden: Ein cooler, junger, smarter Schwarzer zog ins Weisse Haus ein. Die Hoffnungen, die sich nach der traurigen Bush-Ära mit Barack Obama verbanden, waren weltumspannend enorm. Alles wird gut – und der Rest bestimmt nicht schlechter. Hope. Yes, we can. Ja, wir konnten träumen.
Wohlbefinden ist schön – und zählt wenig
Jetzt albträumen wir. Und verklären. Obama hat der Grossmacht zwar ein sympathisches Gesicht gegeben und einige Errungenschaften wie die Gesundheitsreform vorzuweisen. Aber er war vor allem ein ganz normaler US-Präsident, der knallharte Interessenpolitik betrieb. Er hat Versprechen gebrochen, seine Klientel bedient, er hat Kriege verdrängt und Konflikte geschürt.
Gastgeber wider WillenDas atmosphärische Wohlbefinden, das er aus europäischer Sicht verbreitet hat, ist eine schwache Währung, wenn in der Realpolitik Bilanz gezogen wird. Wir haben das Beste erwartet. Umso grösser ist die Ernüchterung.
Von Trump erwarten wir das Schlimmste.
Doch könnte es sein, dass die Ängste so übertrieben sind wie die Hoffnungen damals? Es gibt einige Gründe, im Machtwechsel von heute nicht das Ende der Welt zu sehen.
Auch Stinkefinger können recht haben
Trump ist ein Nichtpolitiker, ein Quereinsteiger und Nonkonformist. Er schaut die Dinge anders an als die Regierungschefs, zumeist routinierte Allzeitpolitiker, mit denen er es zu tun haben wird. Sein anderer Blick mag naiv oder herablassend sein, in der Wirkung aber vielleicht erhellend. Ein Störenfried kann Verkrustungen sprengen, Veränderungen provozieren. Trump hat in seiner brachialen Ankündigungs-Kaskade bereits die Nato in Frage gestellt und die EU ebenso.
Aber ist das wirklich so schlimm? Die Nato hat wiederholt kläglich versagt, der EU kommt ein Mitglied abhanden, weil Grossbritanniens Bürger das so wollen. Auflösen muss man diese Bündnisse nicht, nur weil Trump sie lumpig findet. Ihn deswegen dämonisieren aber auch nicht. Selbst wenn er es undiplomatisch mit dem Stinkefinger tut – Trump zeigt auf echte Probleme, tatsächliche Schwachstellen. Er stösst mit seinem Berserkerstil ab, womöglich stösst er trotzdem Dinge an.
Nicht zu unterschätzen ist sein Instinkt, grundlegende Missstände zu erkennen und grundsätzliche Themen zu benennen. Es war der Steinreiche hoch oben im Trump Tower, der erkannt hat, was die frustrierte, weisse Mittelschicht unten im Landesinnern umtreibt. Das hat ihm die Stimmen gebracht, das hat ihn ins Weisse Haus gebracht.
Ansichten eines Horrorclowns
So treffend einige seiner Diagnosen sind, so hanebüchen und beängstigend sind manche seiner Anti-Globalisierungs-Rezepte, die er den USA und der Welt verschreiben will. Mehr Militär, mehr Grenzen, mehr nationaler Egoismus, weniger Handel. Mexikaner rausschmeissen, Mauer hochziehen, Rechnung stellen – irre Ansichten eines Horrorclowns.
Doch macht Trump alle seine Drohungen wahr? Niemand weiss es ausser er selbst. Noch nie war ein amerikanischer Präsident ein so grosses Rätsel wie er. Beunruhigend ist sein selbstgefälliger Stolz auf die eigene Unwissenheit in vielen Belangen, über die er nun entscheidet. Beruhigend ist, dass er als voll imprägnierter Geschäftsmann ein Pragmatiker ist und kein Ideologe. Die schlimmsten Verheerungen in der Welt richten Ideologen an. Macher sind lernfähig.
Trump ist nicht Alleinherrscher
Am heutigen Tag dreht sich alles um Trump. Doch mächtig ist der mächtigste Mann der Welt nicht allein. Unter den vielen alten weissen Männern, mit denen er sich umgibt, hat es auch versierte, besonnene Köpfe. Und die Republikaner, die seinen Durchmarsch nicht zu verhindern vermochten, sind keine Bekloppten und Hasardeure. Sie dominieren den US-Kongress und wollen das Land auf ihren Kurs bringen. Der ist konservativ bis in die Knochen, was man bedauern mag. Aber sie sind nicht verantwortungslos. Eine staatstragende Partei lässt nicht zu, dass ihr Land abgefackelt wird. Auch nicht von einem potenziellen Brandstifter an der Spitze.
Im Übrigen reden wir hier über die USA. Eine Demokratie, nicht eine Diktatur. Das politische System beruht auf Gewaltenteilung, Machtkontrolle, Korrektur. Das bekommt der neue Präsident sehr schnell zu spüren, sollte er das Land selbstherrlich führen wollen wie der Firmenboss, der er war.
Anders, aber nicht zwingend schlechter
Heute ist kein Jubeltag. Donald Trump ist kein Hoffnungsträger. Die Welt wird anders, unberechenbarer, fiebriger – aber nicht zwingend schlechter. Wie bei jedem Risiko kann es auf die eine Seite kippen – oder auf die andere. Bei Obama wurde der Tag vor dem Abend gelobt. Wir sollten heute nicht voreilig sagen: Gute Nacht, Amerika.
Herr Trump, wir erwarten von Ihnen das Schlimmste. Enttäuschen Sie diese Erwartungen, Mr. President.