Zu den rockigen Klängen von «Don't Stop» verliess Bill Clinton (78) letzte Nacht die Bühne. Die Hymne von Fleetwood Mac hatte ihn 1992 im Wahlkampf ins Weisse Haus getragen.
Es war ein nostalgischer Ausklang der bisher rhetorisch besten Rede am Parteikonvent der Demokraten in Chicago. Zwar wirkte der ehemalige Präsident etwas älter, sprach mit heiserer Stimme und war streckenweise müde – doch sein politisches Feuer loderte. Es schien, als wolle er noch einmal zeigen, wie einzigartig sein politisches Talent ist.
Während Barack Obama (63) oft mit wenig Substanz predigt, erzählt Clinton berührende und aussagekräftige Geschichten.
Es war ein Genuss, ihm zuzuhören.
Clinton lobte aufrichtig Präsident Joe Biden (81) für seinen Rückzug als Präsidentschaftskandidat, ohne ihn zu demütigen, wie es in Chicago andere taten. Stattdessen verglich er ihn mit dem ersten US-Präsidenten George Washington (1732–1799), der sich nach zwei Amtszeiten freiwillig zurückgezogen hatte.
Stille, um Worte zu hören
Clinton bat nicht nach jedem zweiten Satz um Applaus, sondern bemühte sich, ganze Anekdoten zu erzählen. Manchmal wurde der Saal mucksmäuschenstill, weil die Menschen Clintons Worte hören wollten.
Diese Wahl, so Clinton, sei eine Wahl zwischen «ich» und «ihr», zwischen einem Mann, der immer nur «ich, ich, ich, ich, ich» sage, und einer Frau, die am ersten Tag im Weissen Haus jeden fragen werde: «Was braucht ihr, und ihr, und ihr, und ihr?»
Statt eine Liste mit Harris' Stärken herunterzubeten, erzählte Clinton von ihrem Studentenjob bei McDonald's – und machte daraus einen selbstironischen Witz: «Wenn Kamala im Januar ins Weisse Haus einzieht, bricht sie meinen Rekord als Präsident, der am meisten Zeit bei McDonald's verbracht hat.»
Clintons Vorliebe für fetttriefende Hamburger ist in den USA legendär.
Mit rhetorischer Leichtigkeit sagte Clinton, Harris werde die «Präsidentin reiner Freude» sein. «Ich will ein fröhliches Amerika und keine aggressive Rhetorik.»
Clinton warnte: Diese Wahl sei noch lange nicht entschieden, auch wenn die Demokraten gerade so viel Energie verspürten. «Wir haben schon einige Wahlen verloren», sagte er. «Wahlen sind ein brutales Geschäft. Ihr dürft begeistert sein, aber ihr dürft den Gegner nicht unterschätzen.»
Hoffnung und Freude
Clinton, der in der Kleinstadt Hope im US-Bundesstaat Arkansas zur Welt kam, schloss mit den Worten: «Ich war der Präsident aus Hope, jetzt brauchen wir Kamala als unsere Präsidentin der Freude.» Er strahlte in die Menge, drehte sich um und ging zu den Klängen von Fleetwood Mac.
Clinton sprach früh am Abend – vermutlich, um ihn zeitlich nicht zu nah am Hauptredner auftreten zu lassen. Er sollte Vizekandidat Tim Walz (60) nicht die Show stehlen.
Unter tosendem Applaus betrat der Gouverneur von Minnesota die Bühne. Die Menge schwenkte Schilder mit der Aufschrift «Coach Walz». Er bedankte sich für die Nominierung als Vizekandidat, «die Ehre meines Lebens», und hielt dann eine sonderbare Rede.
Zuerst stellte er sich demütig als einfacher Mann aus dem Heartland dar, dem Herzen Amerikas. Er gehe auf die Jagd und treffe besser als mancher Republikaner. Keiner seiner Mitschüler habe an der Elite-Universität Yale studiert. Nur dank eines Militärstipendiums habe er studieren können. Er unterrichtete und trainierte Football-Spieler nicht etwa an einer Privatschule, sondern an einer öffentlichen Schule, woher auch sein Spitzname stammt: «Coach Walz». Und er sprach darüber, dass er und seine Frau ein Kind dank Reproduktionsmedizin gezeugt hatten.
Nach diesem versöhnlichen Auftakt verfiel er dem negativen Ton des Parteikonvents – und griff frontal Trump an. Laut und aufgekratzt, aber rhetorisch gekonnt, lobte er Harris und umschrieb sie mit plumpen Football-Metaphern. Sie sei «tough» und «bereit».
Während der Walz-Rede verlassen die Menschen den Saal
Noch bevor er fertig war, verliessen einige Personen die Ränge. Fazit von Walz’ Auftritt: Zum zweiten Mal in dieser Woche stahl ein Clinton einem Hauptredner die Show. Irgendwie wirkte Walz neben Clinton sonderbar.
Ein Hauch von Hollywood schwebte über dem dritten Abend des Parteikonvents der Demokraten. John Legend (45) schmetterte «Let's Go Crazy» von Prince. Soulsänger Stevie Wonder (74) sprach und sang. «Saturday Night Live»-Komiker Kenan Thompson (46) machte sich über konservative Politik lustig. Die indischstämmige Schauspielerin Mindy Kaling (45) verriet, dass die indischstämmige Präsidentschaftskandidatin Harris «sehr gut kochen kann». Und TV-Star Oprah Winfrey (70) sprach etwas langatmig über das Motto der Demokraten: «Freedom», Freiheit.
Fast den ganzen Abend sprachen die Demokraten über Donald Trump, als wären sie vom Republikaner besessen.
Nach drei von vier Tagen scheint klar, wie die Partei von Harris diese Wahl gewinnen will: durch ein Referendum über Trump. Ob es auch um Harris selbst geht, wird sich wohl erst am letzten Abend zeigen. Dann muss die Kandidatin beweisen, ob sie auf eigenen Beinen stehen kann oder nur ein Instrument ist, um Trump zu stoppen.
Eltern von Geiseln in Gaza appellieren an die Politik
Emotionaler Höhepunkt: Die Eltern von Hersh Goldberg-Polin (23) berichteten über ihren Sohn, der seit dem 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen als Geisel gehalten wird. Seitdem, so sagten sie, lebten sie auf einem anderen Planeten. Sie betonten: «Dass unser Sohn nach Hause kommt, ist keine politische, sondern eine humanitäre Frage.»
Einmal im Monat treffen sich die Eltern der amerikanischen Geisel in Gaza mit Politikern beider Parteien in Washington, um über seine Freilassung zu sprechen. Sie seien allen dankbar, die ihnen gute Wünsche schickten. «Ihr lasst uns atmen in einer Welt ohne Luft.»
Das letzte Wort gehörte der Mutter: «Hersh, wenn du uns hörst, wir lieben dich, bleib stark – und bleib am Leben.»