Die US-Verfassung spricht klar und steht über dem Präsidenten: Die Wahl des US-Staats- und Regierungschefs hat alle vier Jahre am ersten Dienstag nach dem ersten Montag im November stattzufinden. Nur ein vom Kongress verabschiedetes und vom Präsidenten unterzeichnetes Gesetz könnte dies ändern – was noch dazu langwierige juristische Schlachten auslösen würde.
Doch die sich abzeichnende «Corona-Wahl» könnte Trump (74) zum Verhängnis werden. Der US-Präsident spielt jetzt offen mit dem Gedanken, den Wahltermin wegen der Corona-Pandemie zu verschieben, die seine Wahlchancen trübt. Mit drei Fragezeichen hinter einem Tweet fragte Trump am Donnerstag: «Die Wahl hinausschieben, bis die Menschen ordentlich, sorgenfrei und sicher wählen können???»
Wenige Stunden später erhob Trump erneut Vorwürfe gegen Briefwahlen, die seiner Meinung nach Tür und Tor für Wahlfälschung öffnen - und mitunter als Vorwand dienen könnten, das Ergebnis anzufechten. Eine Anfechtung von US-Wahlen wäre ja nicht ganz neu, wie die Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 gezeigt hat, als der Wahlausgang in Schlüsselbundesstaat Florida auch nach einer richterlich angeordneten Nachzählungen und der höchstrichterlichen Überprüfung durch den Supreme Court umstritten blieb.
Trump sucht nach Argumenten, um nicht zwingend am 3. November Wahlen abhalten zu müssen. Das Wahlergebnis habe in der Wahlnacht festzustehen, so Trump, «nicht Tage, Monate oder gar Jahre später». Eine Anspielung darauf, dass eine Auszählung der per Briefwahl abgegebenen Stimmen Tage, wenn nicht Wochen dauern könnte.
Keine boomende Wirtschaft mehr
Die Tweets des US-Präsidenten kommen nicht ganz überraschend. Sie erfolgen nach der Bekanntgabe historisch schlechter Konjunkturdaten für das zweite Quartal. Auf das Jahr hochgerechnet ist die Wirtschaft um ein Drittel eingebrochen. Die Pandemie hat Trump seines wichtigsten Arguments für die Wiederwahl beraubt: eine boomende Wirtschaft.
Am Vortag hatte es bereits eine andere Hiobsbotschaft gegeben. Seit Beginn der Corona-Pandemie starben im Zusammenhang mit der Krankheit Covid-19 bereits mehr als 150'000 Menschen in den USA.
In Umfragen liegt Trump derzeit deutlich hinter dem designierten Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten, Joe Biden (77). Auch wenn man diese Ergebnisse wegen des komplizierten Wahlsystems und zudem drei Monate vor der Wahl mit äusserster Vorsicht geniessen muss: Trump steht unter Druck.
USA vor der «betrügerischsten Wahl» der Geschichte?
Wegen des Ansteckungsrisikos dieses Jahr in Zeiten von Corona kommt möglichen Briefwahlen eine besondere Bedeutung zu. Trump wiederum warnte schon am Wochenende: «Die Wahlen 2020 werden völlig manipuliert, wenn Briefwahlen stattfinden dürfen.»
Eine starke Zunahme der Briefwahl könnte zur «betrügerischsten Wahl» der Geschichte führen könnte: «Es wird eine grosse Blamage für die USA», so der bedrängte Trump, der bislang keine nachhaltigen Beweise für seine Befürchtungen geliefert hat. Die meisten Wahlexperten gehen davon aus, dass Briefwahl im Grundsatz sicher ist - auch wenn eine Änderung des Wahlmodus wegen der Pandemie nur wenige Monate vor der Abstimmung eine grosse Herausforderung darstellt.
Die Demokraten wiederum schätzen die Briefwahl als Option, weil damit möglicherweise mehr ihrer Anhänger abstimmen werden und dies zudem in der Pandemie das Gesundheitsrisiko verringern würde. Die Demokraten werfen Trump vor, dass er sich mit seinen düsteren Warnungen eine Rechtfertigung schaffen will, um das Ergebnis der Präsidentschaftswahl am 3. November nicht anzuerkennen. In einem Interview hatte Trump kürzlich offengelassen, ob er eine Wahlniederlage akzeptieren würde.
Kehrtwende von Trump
Im April hatte Trump Spekulationen seines Rivalen Biden über eine mögliche Verschiebung des Termins noch entschieden zurückgewiesen. «Ich habe nie auch nur daran gedacht, den Wahltermin zu verschieben», sagte Trump damals und sprach von «erfundener Propaganda». Der 3. November - der geplante Wahltermin - sei ein gutes Datum. Biden hatte nach Angaben von Journalisten gesagt, Trump wolle den Wahltermin nach hinten verschieben, weil er denke, dass er nur so gewinnen könnte.
Der ehemalige Pressesprecher des Weissen Hauses unter Ex-Präsident George W. Bush (74), Ari Fleischer (59), rief Trump auf, die «schädliche Idee» nicht weiterzuspinnen, und riet ihm, den Tweet zu löschen. «Das ist keine Idee, die irgendjemand, insbesondere POTUS (Präsident der Vereinigten Staaten), in Umlauf bringen sollte», schrieb Fleischer auf Twitter. «Unsere Demokratie basiert auf Wahlen, bei denen jeder die Regeln kennt und die für alle gelten. Der Wahltag ist und bleibt der 3. November 2020.»
Die Hürden für eine Verschiebung der Präsidentenwahl am 3. November sind in der Tat extrem hoch, weil der Termin seit 1845 gesetzlich festgeschrieben ist. Nötig wäre eine Änderung durch den US-Kongress, die noch dazu vor Gerichten angefochten werden könnte. Ausserdem wären auf diesem Weg nur einige Wochen zu gewinnen. Denn der weitere Zeitplan ist in der Verfassung festgeschrieben und damit noch starrer: der Starttermin für den neuen Kongress am 3. Januar und der Amtsantritt des Präsidenten am 20. Januar.
Demokratie, nicht Diktatur
Der demokratische Senator Tom Udall (72) sah in Trumps Tweet ein Ablenkungsmanöver. Trump könne die Wahl nicht verzögern, schrieb er auf Twitter. «Wir sollten uns nicht von seiner #Covid-19-Inkompetenz ablenken lassen. Aber die Tatsache, dass er dies auch nur andeutet, ist ein ernsthafter, schauriger Angriff auf den demokratischen Prozess. Alle Mitglieder des Kongresses - und der Regierung - sollten ihre Stimme erheben.»
Die US-Bürgerrechtsorganisation ACLU erklärte, man befinde sich in Amerika. «Wir sind eine Demokratie, keine Diktatur.» Das Wahldatum sei festgelegt. «Nichts, was Präsident Trump sagt, tut oder twittert, kann diese Tatsache ändern.»
Mit seinem Vorstoss stösst Trump auf in den eigenen Reihen auf Widerspruch. Der Wahltermin am 3. November sei «in Stein gemeisselt», sagte der republikanische Mehrheitsführer im US-Senat, Mitch McConnell (78). «Wir dürfen die Wahl nicht verschieben», so auch der republikanische Senator Ted Cruz (49) sowie Lindsey Graham, Vorsitzender des Justizsausschusses im US-Senat: «Ich denke nicht, dass eine mögliche Verschiebung der Wahl eine gute Idee wäre.»
Die letzten Worte zum Wahltermin am 3. November scheinen noch nicht gesprochen. (kes/SDA)
Wer kann überhaupt für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten kandidieren? Wie wird man Präsident? Und wie läuft das Wahlprozedere ab? BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen zur US-Wahl.
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Am 3. November 2020 fanden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Donald Trump konnte sein Amt nicht verteidigen. Herausforderer Joe Biden hat die Wahl für sich entschieden.
Alle aktuellen Entwicklungen zu den Wahlen und Kandidaten gibt es immer im Newsticker, und alle Artikel zum Thema finden Sie hier auf der US-Wahlen-Seite.
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