US-Expertin Claudia Brühwiler über die Vorzüge des Trump-Herausforderers
«Biden steht für das politisch Machbare»

Seit Jahrzehnten ist Joe Biden in der Politik. Die Amerikanistin Claudia Brühwiler erklärt, was den Trump-Herausforderer ausmacht – und warum er auf Abstand zu seinem Freund Barack Obama gehen muss.
Publiziert: 19.08.2020 um 12:17 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2022 um 04:10 Uhr
Sylwina Spiess und Reto Scherrer

Joe Biden könnte mit knapp 80 Jahren der älteste Präsident werden, es ist sein dritter Anlauf als Präsidentschaftskandidat. Wieso hat jetzt doch noch geklappt?
Brühwiler: Im Englischen gibt es das schöne Sprichwort: Steady wins the race. Diesmal haben die Umstände gepasst. Man suchte einen zentristischen Kandidaten, der tatsächlich die Mitte ansprechen kann und Leute, die sich vor progressiver Politik scheuen, nicht erschreckt, der auch die weisse Mittelklasse glaubwürdig ansprechen kann.

Was für ein Typ ist Polit-Dinosaurier Joe Biden?
Er ist jemand, der sich auch unter traurigen Umständen auf die öffentliche Aufgabe besinnt. Biden hat ein grosses Missionsbedürfnis oder einen starken Ethos, was seine Aufgabe für die Öffentlichkeit betrifft. Er macht das auch glaubwürdig. Als Senator hat er die Interessen der Bahnbetriebe vertreten und wie es sich gehörte, ist er von seiner Heimat mit dem Zug nach Washington gefahren, um diesem Amt gerecht zu werden.

Wofür steht Biden politisch?
Seine Gegner werden ihm vorwerfen, dass er nie richtig für etwas einstand. Biden hat schon auch mal die Richtung gewechselt! Seine jetzige Agenda ist: Er steht für das politisch Machbare, für eine Brücke zu einer progressiven Politik, ist aber selbst nicht sehr links. Beispielsweise ist er kein Anhänger des «Green New Deal», möchte aber durchaus grössere Summen in grüne Energien investieren. Er steht für eine bessere Sozialpolitik – die Erhöhung der Mindestlöhne beispielsweise – und auf der internationalen Bühne für ein anderes Amerika als in den letzten vier Jahren.

Wird Barack Obama sein Einflüsterer?
Obama wird in keiner offiziellen Rolle Einfluss haben, das gehört nicht zur amerikanischen Tradition. Ehemalige Präsidenten sind aber häufig informelle Ratgeber. Bill Clinton etwa hat bei Nixon oft nach Rat gefragt, auch Joe Biden wird sich sicher Rat holen. Er hat ja bereits gesagt, dass er Obamas Erbe fortsetzen will – aber er weiss auch, dass Obamas Präsidentschaft nicht von allen durch eine rosa Brille gesehen wird und auch deren Stimmen will er ja gewinnen.

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