10’501 Menschen sind bisher in der Schweiz und Liechtenstein an Corona gestorben. Viele von ihnen im Spital, auf den Intensivstationen. Dort liegen auch derzeit über 200 Menschen und kämpfen um ihr Leben.
Was Patient und Ärzte in dieser schwierigen Zeit – von Ankunft im Spital bis zum letzten Atemzug – durchmachen, wissen normalerweise nur die Betroffenen. In der «Los Angeles Times» gibt nun aber die Lungenspezialistin Karen Gallardo Einblick in den belastenden Alltag auf der Intensivstation. Eindrücklich beschreibt sie in sieben Phasen, wie verheerend ein schwerer Krankheitsverlauf ist.
Gefühl des Ertrinkens
Phase 1: «Seit mehreren Tagen fühlst du dich geschwächt, aber mittlerweile bereitet dir das Atmen solche Mühe, dass du in die Notfallaufnahme kommst. Dein Sauerstoffgehalt sagt uns, dass du Hilfe brauchst. Zusätzliche ein bis vier Liter Sauerstoff pro Minute. Wir nehmen dich als Patienten auf und geben dir Medikamente, darunter Steroide und antivirale Mittel. Du verbringst mehrere Tage im Spital und fühlst dich matt. Falls wir dir keinen Sauerstoff mehr zuführen müssen, wirst du entlassen. Du überlebst.»
Phase 2: «Atmen fällt dir immer schwerer. ‹Wie zu Ertrinken› sei es, beschreiben viele Patienten das Gefühl. Die Bronchodilatatoren, die wir dir geben haben, helfen nur wenig. Du brauchst deutlich mehr Sauerstoff. Waren es vorher 4 Liter pro Minute, sind es jetzt 15 bis 40 Liter. Kleine Dinge, wie aufs WC gehen oder im Bett aufsitzen, kannst du nicht mehr alleine ausführen. Du kommst zu schnell ausser Atem. Du wirst auf die Intensivstation gebracht.
Erschöpft vom Hyperventilieren
Phase 3: «Dein Körper verlangt nach so viel Luft, dass du vom ständigen Hyperventilieren erschöpft bist. Wir schliessen dich an ein nicht-invasives Überdruckbeatmungsgerät an – eine grosse, sperrige Gesichtsmaske, die mit einem Klettverschluss um dein Gesicht befestigt werden muss, damit das Gerät effizient Druck auf deine Lungen ausüben und sie öffnen kann. Nur so kann genug von dem Sauerstoff, den die Maschinen liefern, ans Ziel kommen.»
Phase 4: «Deine Atmung wird noch schwerfälliger. Wir können sehen, dass du extrem stark ermüdet bist. Eine Blutabnahme beweist, dass die Sauerstoffsättigung in deinem Blut ein kritisches Niveau erreicht hat. Wir bereiten uns darauf vor, zu intubieren. Falls du dazu in der Lage bist, raten wir dir, deine Liebsten anzurufen. Das ist möglicherweise das letzte Mal, dass sie deine Stimme hören.
Danach schliessen wir dich an ein Beatmungsgerät an. Du bist sediert und gelähmt, wirst über eine Ernährungssonde ernährt, an einen Ballonkathether und eine Rektalsonde angeschlossen. Wir drehen deinen schlaffen Körper regelmässig um, damit du keine Druckgeschwüre entwickelst. Wir baden dich und halten dich sauber. Wir drehen dich auf den Bauch, damit du besser mit Sauerstoff versorgt wirst. Wir probieren experimentelle Therapien aus.»
Die nötigen Maschinen sind selten
Phase 5: Einige Patienten überleben Phase 4. Unglücklicherweise haben deine Sauerstoffwerte und deine sonstige Gesundheit sich aber auch nach einigen Tagen am Beatmungsgerät nicht verbessert. Deine von Corona befallenen Lungen brauchen Unterstützung und Zeit, um zu heilen.
Dafür könnte eine ECMO-Maschine sorgen, aber leider verfügt unser nicht spezialisiertes Krankenhaus über kein solches Gerät. (Anm. der Redaktion: Auch in der Schweiz verfügen nur sehr wenige Spitäler über ECMO-Geräte). Wenn du stabil genug bist, wirst du für diese Therapie in ein anderes Spital gebracht. Ansonsten versuchen wir, dich so gut zu behandeln, wie wir können. Wir sind zu wenige Leute und haben viel zu viel zu tun, aber wir geben immer unser Bestes.»
Familie muss Entscheidung treffen
Phase 6: Der Druck, der gebraucht wird, um deine Lungen zu öffnen, ist so gross, dass Luft in deine Brusthöhle eindringen kann. Darum führen wir Schläuche ein, um die Luft zu entfernen. Deine Nieren schaffen es nicht mehr, die Nebenprodukte der Medikamente zu filtern, die wir dir die ganze Zeit verabreichen. Trotz Mitteln, die eine verstärkte Harnerzeugung bewirken, schwillt dein gesamter Körper durch Flüssigkeitsablagerungen an. Du brauchst eine Dialyse, um deine Nierenfunktion zu erhalten.
Die lange Hospitalisierung und dein schwaches Immunsystem machen dich anfällig für Infektionen. Eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs zeigt, dass sich in den Lungenbläschen Flüssigkeit angesammelt hat. Auch ein Blutgerinnsel kann sich zeigen. Wir können diese Komplikationen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verhindern. Wir behandeln sie, wenn sie auftreten.
Wenn dein Blutdruck stark abfällt, verabreichen wir Vasopressoren, um ihn wieder zu erhöhen. Trotzdem kann dein Herz stehen bleiben. Nach mehreren Wiederbelebungsmassnahmen werden wir deinen Puls und Kreislauf wieder in Gang bringen. Doch schon bald wird deine Familie eine schwierige Entscheidung treffen müssen.
«Lasst euch impfen»
Phase 7: Nach mehreren Treffen mit dem Palliativ-Care-Team entscheidet deine Familie, dass keine weiteren mechanischen Hilfeleistungen erfolgen sollen. Wir extubieren und stellen die Beatmungsgeräte ab. Wir organisieren einen letzten Anruf mit deinen Liebsten. Während wir in deinem Raum arbeiten, hören wir Weinen und liebevolle ‹Auf Wiedersehen›. Wir weinen auch – und halten deine Hand bis zu deinem letzten natürlichen Atemzug.»
Zum Ende schreibt Lungenärztin Gallardo:
«Ich mache das seit 17 Monaten. Es wird nicht einfacher. Meine Pandemie-Geschichten gehen äusserst selten gut aus. Lasst euch impfen.» (vof)