Immerhin ein Brite hat am 31. Oktober den Austritt geschafft – genauer den Berxit. Der kultige Parlamentarier John Bercow (56) ist am Donnerstag als Vorsitzender des Unterhauses zurückgetreten.
Der Brexit dagegen ist auf Ende Januar verschoben. Doch Bercow, die wohl schillerndste Hauptfigur im Brexit-Drama, hat keine Lust mehr auf die stundenlangen Abstimmungsschlachten.
Zehn Jahre stand er an der Spitze der Abgeordneten. Von seinem grünen Lederstuhl aus schaffte er Ooordnung im britischen Parlament. Wortwörtlich: Seine markanten «Ooorder»-Rufe verschafften ihm Kultstatus. Stolze 14'000 Mal erschallte der Ruf durchs Unterhaus.
Sein Lieblingsheld? Roger Federer
Selbst Premierminister Boris Johnson (55) hielt eine rührende Abschiedsrede auf den Kult-Speaker. Er sei ein grosser Diener des Parlaments gewesen, habe es modernisiert, habe «wie ein Schiedsrichter» in Wimbledon die Diskussionen geführt und «wie eine Tennisball-Maschine eigene Kommentare ins Parlament gefeuert», sagte Johnson in Anspielung auf Bercows Lieblingssport.
Die Liebe zu Roger Federer verbindet Bercow tief mit der Schweiz. Im September feuerte er sein Idol live in Genf an. «Lauter als jeder andere!», kündigte er zuvor an. Im Übertönen hat der Kult-Speaker durchaus Übung. Schliesslich geht es im britischen Parlament oft so hitzig zu wie auf arabischen Märkten.
Mit BLICK-Krawatte beim Bundesrat
Dass sich Bercow selbst aktiv in die Debatten einmischte, war historisch. Als erste Amtshandlung modernisierte er die eigene Tracht. Statt goldbesticktem Talar, Perücke und steifem Kragen warf er nur einen leichten Seidenmantel über. Dazu trug er bevorzugt bunte Krawatten.
BLICK schenkte dem Schlips-Fan bei seinem Zürich-Besuch im September ein knallrotes Exemplar mit Schweizerkreuz. Das der Kult-Speaker prompt umband – bei einem Treffen mit den Bundesräten am darauffolgenden Tag. Fröhlich und unkonventionell, so kam Bercow auch über die Landesgrenzen an.
Doch nicht alle sind Fans des Kult-Speakers. Mitarbeiter warfen ihm Mobbing und anzügliche Sprüche vor. «Wir alle haben gute und schlechte Tage», rechtfertigte sich Bercow in einem seiner letzten Interviews. «Wenn ich jemandem Unrecht getan habe, tut mir das Leid.»
Letzte versöhnliche Worte
Auch Premierminister Boris Johnson konnte sich eine kleine Stichelei zum Schluss nicht verkneifen. Schliesslich hatten sich die beiden Parteikollegen in Sachen Brexit immer wieder überworfen – besonders, als Johnson das Parlament in die Zwangspause schickte.
Bercows letzter Ordnungsruf selbst fiel demütig aus. In seiner Abschiedsrede dankte er seiner Frau und seinen drei Kindern. «Ich bin nicht wichtig, aber das Amt des Speakers ist es. Und ich habe versucht, dem gerecht zu werden.»