Kein anderes Bauwerk in Istanbul verdeutlicht die vielseitige Geschichte der Metropole so deutlich wie die Hagia Sophia. Fast 1000 Jahre lang war der Sakralbau die wichtigste Kirche im Byzantinischen Reich. Mit der Eroberung durch die Osmanen im Jahr 1453 wurde das Gotteshaus zur Moschee. 1934 wurde die Moschee schliesslich in ein Museum umgewandelt – für alle Religionen zugänglich, ein Symbol der modernen Türkei.
Der Präsident Recep Tayyip Erdogan (66) will dem nun ein Ende setzen. Am Freitag gab das oberste Gericht bekannt, den Status der Hagia Sophia als Museum annulliert zu haben. Damit ist der Weg für Erdogan frei, aus dem meistbesuchten Museum des Landes nach über 86 Jahren wieder eine Moschee zu machen.
Es ist die konsequente Weiterführung von Erdogans Politik, die Türkei wieder zu alter Grösse zurückzuführen. Das Land galt seit der Ausrufung der modernen Republik im Jahr 1923 als laizistisch, säkular, fortschrittlich. Die Verfassung sieht eine klare Trennung von Staat und Religion vor.
Erdogan erntet Kritik
Erdogan will mit seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP aber das osmanische Erbe wieder stärker gewichten. Auch darum sprach er am Freitag nach dem Entscheid des obersten Gerichts von «historischer Gerechtigkeit». Und erntete international scharfe Kritik.
Die EU, die USA sowie die russisch-orthodoxe Kirche nannten die Entscheidung bedauerlich, eine Provokation, ein massiver Rückschritt. Denn die byzantinischen Fresken, die arabischen Kalligrafien, die islamischen Halbmonde, die christlichen Kruzifixe – all das, vereint unter der mächtigen Kuppel der Hagia Sophia, ist Zeugnis der kosmopolitischen Geschichte der Türkei. Eine Geschichte, die Erdogan am liebsten tilgen würde.