Ukrainer über russische Belagerung
«Russen bereiten alles vor, um uns zu foltern»

Cherson war die erste ukrainische Grossstadt, die von Russland erobert wurde. Wie lebt es sich in der Stadt zehn Tage nach der Übernahme durch die russische Armee? Ein Einwohner erzählt – und ist überraschend optimistisch.
Publiziert: 11.03.2022 um 21:07 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2022 um 22:11 Uhr
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Vor zehn Tagen konnte die russische Armee mit Cherson ihre erste ukrainische Grossstadt erobern. (Symbolbild)
Foto: imago images/SNA

Cherson ist eine ukrainische Stadt im Süden des Landes. Sie hat Anschluss zum Schwarzen Meer und zählt rund 300'000 Einwohner. Am 2. März wurde Cherson zur ersten Grossstadt, die Putins Armee erobern konnte. Doch wie lebt es sich jetzt mit der Belagerung des russischen Militärs in der Stadt?

Die «Welt» hat dazu ein Interview mit James* geführt, der weiterhin in der Stadt ist. Der Krieg hat seinen Alltag auf den Kopf gestellt. «Von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens ist Ausgangssperre», berichtet er. «Dazwischen sind wir auf der Suche nach Essen und Medikamenten. Manchmal haben die Märkte auf, manchmal nicht.»

Bewohner von Cherson führen jeden Tag Demos durch

Die Versorgung mit Medikamenten sei in der Stadt aktuell das grösste Problem. Da die Autobahn im Norden mit russischen Militärkonvois verstopft ist, sei die südlich gelegene Stadt von der Medikamentenversorgung von ausserhalb abgeschnitten. «Wir werden deshalb viele alte Menschen verlieren», befürchtet James.

Bezüglich der Versorgung mit Lebensmitteln würden sich die Ukrainer keine Sorgen machen. Die Stadt heisse nicht umsonst auch Stadt der Gärtner. Ausserdem komme bald der Frühling, und man wisse sich in Cherson gegenseitig zu helfen.

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Jeden Tag gibt es um 12 Uhr auf dem Freiheitsplatz in Cherson eine Demo. Laut James seien dort während zwei Stunden täglich 300 bis 500 Menschen anwesend. «Wir singen unsere Nationalhymne. Wir zeigen, dass wir keine Angst haben.» Eine Waffe trägt James dabei aber nicht: «Meine Waffe sind die Videos, die ich drehe.» Die Russen würden nur wenige Hundert Meter davon entfernt zuschauen.

Natürlich habe er Angst vor den Russen. «Sie gehen erbarmungslos vor. Auf den Strassen stehen noch immer Autos mit ganzen Familien darin, die tot sind, erschossen. Davon habe ich Videos gesehen.»

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Ukrainische Armee spielt auf Zeit

Zivile Infrastrukturen habe die russische Armee noch nicht übernommen. Abgesehen von einer. James zur «Welt»: «Es heisst, sie haben Zellen in unseren Gefängnissen vorbereitet. Was bedeutet, dass sie dort Leute hinbringen werden und tun, was sie im Donbass bereits gemacht haben: foltern.» Deshalb würden die Ukrainer auch zusammenhalten, damit das russische Militär weiterhin Respekt vor den ukrainischen Einwohnern habe.

Die Ukrainer würden laut James auf Zeit spielen. «Unsere Armee wartet nur darauf, dass den Russen die Puste ausgeht, das heisst Diesel und Waffen.» Denn der Nachschub der Russen sei ins Stocken geraten. Dann würden die Ukrainer zuschlagen und versuchen, die belagerte Stadt zurückzuerobern. (obf)

*Name geändert

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