Was für ein Aufmarsch, was für ein Zeichen! Paris und seine Place de la République haben schon viele Demonstrationen erlebt. Aber was sich gestern im Herzen der Stadt abspielte, das hat es noch nie gegeben. So viele Menschen, so viele Emotionen!
Je nach Schätzung bis zu 1,5 Millionen versammeln sich, um nach dem Terror der letzten Tage, der 17 Unschuldige das Leben kostete, zusammenzustehen. Mutig. Friedlich. Solidarisch. Um zu zeigen, dass sie und die ganze Nation keine Angst haben. Alte und Junge, Arbeiter und Intellektuelle, Muslime, Christen, Juden, Konfessionslose – der Aufmarsch ist bunt wie die Stadt selber.
Baba Touré (67), Filmvorführer in einem Pariser Kino, war schon auf vielen Demos. Diese ist für ihn wichtiger als alle zuvor: «Was geschehen ist, das war ein krimineller Akt im Namen der Religion – das dürfen wir nicht durchgehen lassen», sagt er. «Ich hatte das Glück, in der liberalen Gesellschaft Frankreichs zu leben. Einem Land, in dem man nicht glauben muss, sondern darf.»
Immer wieder hört man auf den Strassen und Plätzen die Rufe: «Freiheit, Freiheit, Freiheit», worauf die Menschen mit «Charlie, Charlie, Charlie» antworten. Eine Verbeugung vor den ermordeten Mitarbeitern der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo». Und die neue Parole für Meinungsfreiheit, Pluralismus und Toleranz.
An jeder Ecke diskutieren die Leute miteinander, welche Gesellschaft Frankreich eigentlich wolle. Eine Nation, die jedem Platz biete – egal, wie er denkt, woran er glaubt.
Die Pharmazeutin Martine Baudoin (47) kommt mit ihren Kindern, sie tragen selbstgebastelte Plakate. «Wir sind ein multikulturelles Land», sagt sie, «aber wir haben Regeln. Die Regeln der Republik. Die Republik geht über alles!»
Der Strom der Menschen, die Richtung Place de la République strömen, scheint nie zu versiegen. Kurz nach 15 Uhr setzt sich die «Marche républicaine» Richtung Place de la Nation in Gang. Auf der Avenue de Voltaire marschieren die Staatschefs, Arm in Arm. In der vordersten Reihe: Unsere Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. «Das war sehr eindrücklich», sagt sie danach, es habe sie «persönlich berührt».
Auf der Avenue de la République, eine Strasse weiter, läuft das einfache Volk. Immer wieder klatschen die Demonstrierenden. Vom Kopf des Marsches in die hinteren Reihen schwappt dieser Applaus wie eine Welle durch die Strassenschluchten. Eine Welle der Solidarität. Sie erfasst ganz Frankreich. Nochmals mindestens eine Million Menschen kommen in anderen Städten des Landes zusammen.
Auch viele Muslime sind in Paris dabei, um ein Zeichen zu setzen. «Ich sage Nein zu all dem, was passiert ist», sagt Imen Boudour (38), eine Muslimin, die hochschwanger an der Demo teilnimmt. «Ich sage stopp, stopp, stopp! Das ist nicht mein Islam. Meiner ist friedlich. Stopp zur Gewalt und zum Terror.» Die ganze Welt soll das hören.
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