Der Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan droht nach vorläufigen inoffiziellen Ergebnissen bei der Kommunalwahl eine Niederlage in der wichtigen Metropole Istanbul. Amtsinhaber Ekrem Imamoglu der grössten Oppositionspartei CHP kam bei der Bürgermeisterwahl laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu nach der Auszählung von knapp 40 Prozent der Stimmen auf rund 50 Prozent. Sein Herausforderer, der Kandidat der islamisch-konservativen AKP, Murat Kurum, kam demnach auf 41,3 Prozent der Stimmen. Die oppositionsnahe Nachrichtenagentur Anka sah Imamoglu nach Auszählung von mehr als der Hälfte der Stimmen bei rund 57 Prozent.
Vorläufige inoffizielle Ergebnisse deuteten einen landesweiten Stimmenverlust der AKP im Vergleich zu den Ergebnissen der Kommunalwahl von 2019 an. Mit ersten offiziellen Ergebnissen wurde am späteren Abend gerechnet.
Rund 61 Millionen Menschen in 81 Provinzen waren am dazu aufgerufen gewesen, Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Gut zehn Monate nach der Wiederwahl Erdogans gilt die Abstimmung als Stimmungstest für den Präsidenten und seine AKP.
Wahl fand unter schwierigen Vorzeichen statt
Imamoglu, der als Kandidat der CHP 2019 überraschend Istanbul gewann und damit die jahrzehntelange Regierung der AKP und ihrer Vorgänger beendete, gilt als potenzieller künftiger Präsidentschaftskandidat und aussichtsreicher Erdogan-Kontrahent. In der Metropole Istanbul leben rund 16 Millionen Menschen.
Die Wahl fand unter schwierigen Vorzeichen statt: Die schlechte wirtschaftliche Lage im Land und die hohe Inflation könnten Erdogans Partei Stimmen kosten. Viele klagen über steigende Preise für Lebensmittel und explodierende Mieten; viele junge Menschen würden einer Umfrage zufolge am liebsten das Land verlassen. Die Opposition, die bei der Parlaments- und Präsidentenwahl 2023 noch geeint war, gilt ihrerseits als zerstritten und tritt nicht mehr geschlossen an.
Imamoglu hatte Erdogans regierender AKP 2019 die Macht in Istanbul entrissen und damit eine 25-jährige Herrschaft islamisch-konservativer Parteien beendet. Die AKP liess die Wahl damals annullieren. In der zweiten Runde gewann Imamoglu mit noch grösserem Abstand – das gilt als schwerster Rückschlag in Erdogans politischer Karriere. In Istanbul hatte einst auch Erdogans politischer Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 zum Bürgermeister gewählt wurde.
Gewalttätige Auseinandersetzungen in Kurdenmetropole
Sollte Imamoglu erneut gewinnen, wird seine Position als möglicher Herausforderer Erdogans gestärkt. Sollte hingegen der AKP-Kandidat siegen, warnen Beobachter, dass Erdogan sich bestärkt fühlen könnte, neue Grenzen auszuloten. Er könnte demnach etwa eine Verfassungsänderung anstreben, um sich eine weitere Amtszeit zu sichern, was die aktuelle Verfassung verbietet.
Der Wahlkampf gilt als unfair – ein Grossteil der Medien in der Türkei steht unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung. Eine Delegation des Europarats und der Partei die Linke beobachtet die Wahlen vor Ort. Während der Kommunalwahl ist es am Sonntag zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. In der Kurdenmetropole Diyarbakir wie auch in der Provinz Siirt seien Streitigkeiten rund um die Wahl eskaliert, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntag. In Diyarbakir wurden dabei auch elf Menschen verletzt, und in Siirt vier. Bei den Auseinandersetzungen seien die Beteiligten mit Schusswaffen, Steinen und Stöcken aufeinander losgegangen. Die prokurdische Partei DEM (vormals HDP), die im Südosten grosse Unterstützung hat, teilte auf Anfrage mit, den Vorfall in Diyarbakir zu prüfen. (SDA)