Türkei dreht den Spiess um
«EU benutzt Flüchtlinge für Politik»

Publiziert: 10.10.2019 um 01:18 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2020 um 00:09 Uhr
  • Der Krieg in Syrien ist eskaliert.
  • In der Nacht auf Freitag sterben 33 türkische Soldaten bei Luftangriffen in Idlib.
  • Türkei-Präsident Erdogan rächt sich mit einer Gegenoffensive auf Ziele des syrischen Regimes.
  • Ankara droht Europa mit Öffnung der Grenzen.
  • 950'000 Menschen sind seit Dezember 2019 auf der Flucht.
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Einigen sich auf Waffenstillstand: Erdogan und Putin.
Foto: Getty Images

US-Präsident Donald Trump (73) hat sich in die Nesseln gesetzt. Sein überraschender Abzug amerikanischer Soldaten am Sonntag in Nordsyrien sorgt für Kritik. Selbst seine Parteifreunde sind entsetzt.

Unterdessen reibt sich Recep Tayyip Erdogan (65) die Hände. Dem türkischem Machthaber ist offenbar ein echter Coup gelungen: Er soll Trump bei einem Telefonat übertölpelt und zum Abzug der US-Truppen überredet haben, wie «Newsweek» unter Berufung auf eine anonyme Quelle aus den Geheimdiensten berichtet.

Seit Tagen kündigt Erdogan Angriffe in Syrien an. Nun hat er Panzer, schwere Geschütze und Soldaten an der Grenze in Stellung gebracht. Trumps Entscheid hat Erdogan den Weg für seine Militäroffensive frei gemacht. BLICK klärt die wichtigsten Fragen.

Was plant Erdogan?

Einen Angriff auf die Kurden in Nordsyrien. Die kurdischen Streitkräfte YPG sind eigentlich die Verbündeten des Westens im Kampf gegen den IS – Erdogan aber sieht sie als Terroristen. Er rechnet sie der kurdischen Untergrundorganisation PKK zu, die er im eigenen Land bitter bekämpft, und will das von den Kurden kontrollierte Gebiet in Nordsyrien entlang der Grenze zur Türkei unter seine Kontrolle bringen.

Was bringt Erdogan das Gebiet?

Eine rund 30 Kilometer tiefe «Sicherheitszone», die sich ab dem Euphrat nach Osten bis an die irakische Grenze erstreckt. Hier will Erdogan auch bis zu zwei Millionen syrische Flüchtlinge ansiedeln, die aktuell in der Türkei leben.

Wann greift Erdogan an?

Unklar. Die Zeichen stehen allerdings auf Krieg: Umgehend nach Trumps Entscheid haben Soldaten im südosttürkischen Grenzort Akcakale Panzer und Artilleriegeschütze aufgestellt. Die Waffen sind auf den gegenüberliegenden syrischen Ort Tel Abyad gerichtet.

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete in der Nacht auf Sonntag von neun Transportern mit Militärfahrzeugen sowie einem Bus mit Soldaten, die Akcakale erreicht hätten. Sie seien aus der Provinzhauptstadt Sanliurfa gekommen. Dort hatte die Türkei im März ein Kommandozentrum für die lang geplante Offensive eingeweiht.

Von Trumps Twitter-Tirade («Ich werde die türkische Wirtschaft zerstören!») lässt sich Erdogan jedenfalls nicht beeindrucken «Unsere Botschaft an die internationale Gemeinschaft ist klar: Die Türkei ist kein Land, das sich von Drohungen bewegen lässt», sagte Vizepräsident Fuat Oktay (55) heute Dienstag in Ankara. Die Planung der Offensive laufe weiter.

Am Dienstagnachmittag teilte Erdogans Verteidigungsministerium mit: «Alle Vorbereitungen für den Einsatz sind abgeschlossen.»

Wie reagiert Syrien?

Erwartungsgemäss verärgert. Syrien werde sein Territorium verteidigen und keine Besetzung der «syrischen Erde» akzeptieren, zitierte die regierungsnahe Zeitung «Al-Watan» den stellvertretenden Aussenminister Faisal al-Makdad (65) am Dienstag.

Die drohende Offensive ist für den syrischen Diktator Baschar al-Assad (54) aber auch eine Chance. Er will die Kurden auf seine Seite ziehen. Sein stellvertretender Aussenminister rief die Kurden auf, zurück an die Seite der Regierung in Damaskus zu kommen und sich nicht «selbst in die Hölle zu stürzen», nachdem die Kurden von den USA im Stich gelassen worden seien.

Krebst Trump zurück?

Der US-Präsident steht massiv in der Kritik. Selbst seine Parteifreunde im US-Kongress wenden sich gegen ihn, weil sein Entscheid die kurdischen US-Verbündeten im Kampf gegen den IS in Gefahr bringt. Prompt reagierte der US-Präsident. Er hatte der Türkei bereits im Januar mit wirtschaftlicher Zerstörung gedroht, sollte sie die kurdische YPG angreifen. Nun drohte er in Richtung Erdogan erneut auf Twitter: «Ich zerstöre die türkische Wirtschaft!»

Hat Trump Erdogan in der Hand?

Nein. Strafzölle gegen die Türkei würden das Land kaum treffen – das Handelsvolumen beider Länder ist eher klein. Die USA importieren und exportieren gleichermassen Güter im Wert von rund 10 Milliarden US-Dollar. Und Erdogans wichtigste Import-Partner wird Trump kaum zu Sanktionen bewegen können – denn das sind China, Russland und der Iran.

Wem spielt Trump in die Hände?

Eigentlich allen, denen er garantiert nicht helfen will: dem Iran, Diktator Baschar al-Assad und dessen Verbündeten Russland. Zudem hilft es dem IS, der in Syrien und dem Irak neue Keimzellen hat, wenn amerikanische Soldaten abgezogen werden und die Kurden mit Kämpfen an anderen Fronten beschäftigt sind.

Kommt es zu Gefechten mit der Türkei, vernachlässigt die YPG möglicherweise ihre wichtigen Anti-Terror-Aufgaben in der Region – beispielsweise die Sicherung von inhaftierten IS-Kämpfern.

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