Türkei
Welle der «Säuberung» nach Putschversuch in der Türkei

Istanbul – Die türkische Führung setzt nach dem gescheiterten Putschversuch die von Präsident Recep Tayyip Erdogan angekündigte «Säuberung» des Militärs um und geht auch hart gegen Richter vor.
Publiziert: 16.07.2016 um 21:52 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2018 um 12:00 Uhr
Türkische Soldaten am Freitagabend auf der asiatischen Seite von Istanbul.
Foto: KEYSTONE/AP/EMRAH GUREL

Weltweit wurde der versuchte Umsturz durch türkische Militäreinheiten verurteilt - Regierungschefs und Präsidenten westlicher Demokratien mahnten aber die Einhaltung rechtsstaatlichen Handelns an.

US-Präsident Barack Obama rief alle Parteien in der Türkei zu «gesetzmässigem Handeln» auf. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verurteilte den Putschversuch «aufs Schärfste», mahnte aber zugleich die Einhaltung demokratischer Werte bei der Verfolgung der Urheber an. Auch Bundesrat Didier Burkhalter verurteilte den Putschversuch. Er rief dazu auf, jetzt den Weg der gesellschaftlichen Versöhnung einzuschlagen.

Der Sender CNN Türk meldete am Samstagabend, der Verfassungsrichter Alparslan Altan sei festgenommen worden; aus Regierungskreisen verlautete, auch sein Kollege Erdal Tezcan sei in Gewahrsam genommen worden - wie zuvor schon zehn Mitglieder des türkischen Staatsrats und fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte.

2700 Richter wurden abgesetzt - fast ein Fünftel der schätzungsweise rund 15'000 Richter in der Türkei. Der Chef der Richtergewerkschaft Yargiclar, Mustafa Karadag, sagte der Nachrichtenagentur dpa in Istanbul, nicht nur mutmassliche Unterstützer des Putsches, sondern auch völlig unbeteiligte Kritiker von Erdogan würden festgenommen.

Offiziellen Angaben zufolge wurden in einer ersten Aktion auch mehr als 2800 Putschisten aus den Reihen der Streitkräfte festgenommen. Fünf Generäle und 29 Oberste sollen nach Angaben aus Regierungskreisen ihrer Posten enthoben worden sein.

Erdogan kündigte eine «vollständige Säuberung» des Militärs an. Er bezeichnete den Freitagnacht gestarteten Putschversuch dafür als einen «Segen Gottes». Acht türkische Soldaten setzten sich mit einem Militärhelikopter nach Griechenland ab und beantragten dort politisches Asyl. Sie sollten möglicherweise ausgeliefert werden.

Bei dem versuchten Umsturz wurden offiziellen Angaben zufolge in der Nacht mindestens 265 Menschen (161 regierungstreue Sicherheitskräfte oder Zivilisten und 104 Putschisten) getötet und mehr als 1100 verletzt.

Unter den Verletzten ist auch ein Schweizer, wie das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Samstag mitteilte. Die EDA-Helpline nimmt rund um die Uhr unter den Telefonnummern +41800247365 und +41584653333 Anrufe von Reisenden und besorgten Angehörigen entgegen, die keinen Kontakt zu Reisenden in der Türkei haben.

Die Putschisten wollten nach eigenen Angaben Demokratie und Menschenrechte und die verfassungsmässige Ordnung wiederherstellen.

Obama betonte nach Angaben des Weissen Hauses in einer Telekonferenz mit seinem Sicherheitsteam und aussenpolitischen Beratern, Aktionen, die zu weiterer Gewalt oder Instabilität führen würden, müssten vermieden werden.

Ferner habe er seine «unerschütterliche Unterstützung für die demokratisch gewählte zivile türkische Regierung» geäussert und auf die gemeinsamen Herausforderungen verwiesen, die eine andauernde türkische Kooperation erforderten. Dazu zähle der Kampf gegen den Terrorismus.

Bei einer Sondersitzung des Parlaments dankte Ministerpräsident Binali Yildirim der Opposition und türkischen Bürgern für ihre Unterstützung. Er erklärte den 15. Juli - den Tag des gescheiterten Putsches - zum künftigen «Demokratie-Festtag».

Sowohl Erdogans islamisch-konservative Partei AKP als auch die drei im Parlament vertretenen Oppositionsparteien - CHP, MHP und die kurdische HDP - hatten sich gegen den Putschversuch gestellt.

Erdogan hatte seine Anhänger in der Nacht dazu aufgerufen, auf die Strasse zu gehen und gegen den Putsch zu protestieren. In Istanbul versammelten sich auch am Samstagabend tausende Anhänger Erdogans zu einer Solidaritätsdemonstration. Vor dem türkischen Generalkonsulat in Zürich fanden sich mehrere hundert Personen ein und drückten ihre Unterstützung für Erdogan aus.

Amnesty International warnte vor Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei. Yildirim sagte, die Todesstrafe sei aus dem türkischen Gesetz gestrichen worden. Es werde jedoch über «zusätzliche Massnahmen» diskutiert, die solche «Verrücktheiten» verhindern sollen.

Erdogan machte die Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich und kündigte Vergeltung an. Gülen, nach einem schweren Zerwürfnis 2013 einer von Erdogans Erzfeinden, lebt in den USA und bestritt die Vorwürfe. Er verurteilte die Aktionen in einer Mitteilung scharf.

Erdogan verlangte von den USA die Auslieferung oder Festnahme von Gülen. Die USA würden Aussenminister John Kerry zufolge einen türkischen Antrag auf Auslieferung Gülens prüfen. Die USA seien dazu bereit, Ermittlungen zu unterstützen, um herauszufinden, wer den Putschversuch initiiert habe und woher die Unterstützung kam.

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